Es vergeht kein Tag, an dem in der Schweiz nicht über den Konflikt im Nahen Osten berichtet wird. Bilder aus Gaza, die man fast nicht anschauen kann, Berichte von Demonstrierenden in Israel, die trotz ihrer grossen Anzahl kein Gehör bei der Regierung finden. Dabei nicht sarkastisch, wütend oder einfach gleichgültig zu werden ist eine Herausforderung. Umso mehr, wenn man in einem dieser betroffenen Gebiete wohnt, wie dies Regula Alon tut. Die gebürtige Thunerin lebt seit Jahren in Israel und kämpft zusammen mit anderen Frauen für Frieden.
Pro Frieden
Sie sei müde, macht sie gleich zu Beginn klar. Müde von den wöchentlichen Demonstrationen, von den vielen Gesprächen, vom immer Weitermachen und davon, die Hoffnung nicht aufzugeben. «Seit hundert Jahren ist Krieg in dieser Region. Jedes Mal, wenn wir dachten, jetzt kommt es nicht schlimmer, jetzt sind wir am tiefsten Punkt angelangt, klopft etwas von unten an und wir fallen noch tiefer.» Aber trotz all dem gibt Regula Aron nicht auf, bleibt in Israel und kämpft mit ihren Mitstreiterinnen der Organisationen «Woman Wage Peace» und «Women of the Sun» für Frieden. Hartnäckig, vielleicht sogar mit einer gewissen Sturheit ist sie «Pro Frieden» und wird nicht müde, zu informieren, zu mobilisieren und zu hoffen.
Der Aufruf der Mütter
«Woman Wage Peace» (WWW) wurde 2014 in Israel gegründet und zählt mittlerweile 50‚000 Mitglieder. Sowohl Musliminnen wie auch Israelis und Drusen zählen sich dazu. Gemeinsam engagieren sie sich für den Dialog mit verschiedenen Gruppierungen – von Mutter zu Mutter – und organisieren Märsche, Konferenzen und Demonstrationen. Ihre Partnerorganisation ist «Women of the Sun» (WS), gegründet 2021 in Bethlehem, Westbank, welche mittlerweile 3000 Mitglieder zählt. Während WWW sich in Israel relativ frei bewegen und demonstrieren kann, riskieren die Mitglieder von WS ihr Leben, bei vielen weiss nicht einmal die Familie über das Engagement Bescheid. Trotzdem setzen sie sich unermüdlich für Frieden ein, gegen den Willen der Hamas, manchmal auch gegen den Willen der Familie. Eine Initiative, welche von beiden Organisationen getragen wird, ist der «Aufruf der Mütter». Ein Statement, welches die Regierungen dazu aufruft, umgehend Friedensverhandlungen zu beginnen. «Wir sagen nicht, welche Lösung es sein muss. Aber wir sagen: Setzt euch an einen Tisch, jetzt! Und diskutiert, wie eine Lösung aussieht», so Alon. Dabei sei zentral, dass die Frauen in einen solchen Prozess einbezogen werden. Nur dann würde ein nachhaltiger Frieden funktionieren. Wichtig sei, dass beide Seiten aus ihrer Opferhaltung herauskommen. Nur wenn beide akzeptieren, dass sie sowohl Täter wie auch Opfer sind und den Dialog nicht länger mit Schuldzuweisungen und Beschämung übersäen, wäre es möglich, gemeinsam einen Weg zu gehen.
Freud und Leid
Zum Schluss ihres Vortrags spielt Alon ein Lied von Yael Deckelbaum ab, welches diesen Aufruf der Mütter untermalt. Dabei zu sehen sind Frauen aus dem ganzen Land, wie sie sich zusammen aufmachen, durch die Strassen marschieren, vereint und mit Hoffnung. Dass dieses Video vor dem 7. Oktober gedreht wurde, hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack. Man will sich über das Video freuen und hoffnungsvoll in die Zukunft schauen. Aber da gibt es eben auch diese anderen Bilder…
Widersprüche aushalten können
Ambiguitätskompetenz. Das ist es, was man brauche, um diese Widersprüche aushalten zu können, so Theresa Spirig-Huber, welche durch den Abend leitete. Die Fähigkeit also, Mehrdeutigkeiten, Widersprüche und differente Sichtweisen auszuhalten und in kulturell sowie sozial fremden Situationen respektvoll und zielführend zu agieren. Das ist es auch, was Regula Aron immer wieder braucht in ihrem Leben in Israel. Auszuhalten, dass eine gute Freundin gänzlich anderer Meinung ist als sie bezüglich der politischen Situation und sich trotz allem zu treffen und auszutauschen. Anders ist kein Frieden möglich. Nicht im Nahen Osten und auch nicht hier in der Schweiz.