Es gibt natürlich verschiedene Faktoren, welche die Vorlieben eines Kindes gegenüber Risikosituationen beeinflussen. Auch die Hirnentwicklung in der Pubertät kann dazu führen, dass Jugendliche sich zu Rausch und Risiko hingezogen fühlen.
Ein Lustzentrum in Aufruhr
Dass sich das Gehirn in der Pubertät und bis Mitte Zwanzig einmal komplett umbaut, mag bekannt sein. Weniger bekannt ist vielleicht, dass bei dieser Neuorganisation nicht nur der Frontalcortex, sondern auch die Botenstoffe des Wohlbefindens, im Volksmund «Glückshormone», in Aufruhr sind. Es kommt zu Über-und Unterproduktionen dieser Hormone. Bei einer Überproduktion kann es häufiger zum Chill-modus kommen, bei Unterproduktion sucht das Gehirn nach Situationen, in denen Glückshormone ausgeschüttet werden. Denn: Das Gehirn will lernen und sich entwickeln. Und neue Synapsen bilden sich besser bei Ausschüttung von Glückshormonen.
Alkohol, Medien, Franzwörtli oder Mathformeln?
Schön, wenn die Glückshormone beim schulischen Lernen fliessen. Doch spannend und reizvoll sind halt auch Zigaretten und Co, die Medien und der Alkohol – sie steigern das Wohlbefinden. Hinzu kommt, dass Jugendliche aufgrund des sich noch ausbildenden Frontalcortex, der die Vernunft steuert, im Hier und Jetzt leben. Der zusätzliche Trieb nach Autonomie, in welchem sie ihre Persönlichkeit entdecken und entwickeln, mag in Dissonanz mit ihren Ängsten und Unsicherheiten stehen, welche die Entwicklung in der Pubertät mit sich bringt. Doch gerade dann locken intensive Gefühle, die durch Rausch und Risiko generiert werden und ein Abtauchen in andere Welten ermöglichen.
Die Welt im Rausch und Risiko
Seien wir ehrlich: Die Welt steckt voller Erlebnisse, die mit Nervenkitzel und Grenzerfahrung verbunden sind. Sie gehören zum Alltag. Der Drang nach verdichtetem Leben ist spürbar bei Festen, im Sport, an Konzerten, Demos und Events. Und jetzt?
Risflecting – ein pädagogisches Handlungsmodell
Gerald Koller, deutscher Pädagoge und Organisationsentwickler, ist überzeugt, dass wir den Drang der Jugendlichen im Umgang mit Risiken nicht wegdrücken können. Er plädiert für sogenannte «Konsumkompetenz»: Es soll dabei immer wieder die Balance zwischen Konsum und Verzicht gesucht werden. Sucht ist, wenn der Konsum ins Permanente kippt, und diese Spirale gilt es zu umgehen. Deswegen, so Koller, sei eine Vor- und Nachbereitung und somit eine reflektierte Rausch- und Risikokultur entscheidend.
Optimierung von Rausch- und Risikoverhalten
Was bedeutet das konkret? Eltern sollten vermeiden, dass Risikoerfahrungen unreflektiert und ohne ihr Wissen konsumiert werden. So können Vernunft und Wagnis interagieren. Ich bin im Austausch mit den Kindern und ihren Grenzerfahrungen. Ich bin bei den Vorbereitungen dabei: Was muss sein, um sich nicht zu gefährden? Was lief ok? Was war schwierig und muss beim nächsten Mal anders organisiert sein? Wenn ich alles verbiete, kann ich das Kind nicht aktiv unterstützen und es macht seine Erfahrungen im Verborgenen und unreflektiert.
Die Klaviatur der Bewältigungsstrategien
Suchtdynamiken treten auf, wenn in schwierigen Zeiten nur eine «Taste» bespielt werden kann, um Stress zu bewältigen: zum Beispiel diejenige, bei Stress zum Glimmstengel zu greifen. Oder zur Flasche. Nur, wer auf seiner «Persönlichkeitsklaviatur» mehrere «Tasten», also Strategien, hat, um aus einer negativen Situation rauszukommen, kann diese Spirale durchbrechen.