Was das tanzen mit uns macht

Im Takt des Lebens

Nadia Berger
Von Nadia Berger - Redaktorin
Mirjam Kläntschi und Julio Napoles sind ein eingespieltes (Tanz-)Paar.

Foto: zvg

Einfach erklärt
Tanzen macht glücklich und ist gut für unsere Gesundheit. Das hat die Wissenschaft bestätigt. Zwei Personen, die eine Tanzschule in Bümpliz haben, erzählen davon.
Ob an Parties, im Studio, an Hochzeiten, beim Kochen oder auf der grossen Bühne. Wir Menschen tanzen ständig. Es gibt unzählige Tanzstile – und ebenso viele Gründe, wieso wir tanzen. Sei es, um sich mit anderen zu verbinden, sich fit zu halten, sich ohne Worte auszudrücken, zu kommunizieren oder um sich aufzulehnen. Ein Einblick in das, was Tanzen in uns bewegt – körperlich, geistig und gesellschaftlich.

Donnerstagabend, 21 Uhr neben dem Bahnhof Bümpliz Nord. «Bien! Pero ahora con más energía y sentimiento, muevan su cintura», sagt Julio Napoles mit erhobener Stimme. Er steht am Rand des Tanzstudios, singt ab und zu mit und begleitet das gespielte Lied gleich selbst – mit einer Güira, einem dominikanischen Schlaginstrument. Mirjam Kläntschi übersetzt: «Jetzt mit noch mehr Energie und Gefühl, bewegt eure Hüften, vamos!» Im Raum ist es heiss, die Luft ist gefüllt mit Freude, die Atmosphäre gelöst. Für einen Moment warten die eigenen Sorgen und Ängste vor der Tür, es wird zusammen gelacht, getanzt und geschwitzt. Die Bachata-Dominicana-Stunde am Donnerstagabend ist eine von vielen, die das Paar in ihrer Tanzschule «Danzarte» anbietet. Die meisten Kurse sind jedoch kubanische Tanzstile wie Son, Rumba, afrokubanische Volkstänze, Salsa oder Timba.

Musikalität fördern

Das Paar wirkt eingespielt – sowohl vor als auch während den Tanzstunden. Dass beide viel Erfahrung im Tanzen und Unterrichten haben, merkt man. «Respekt gegenüber der Kultur und der Tradition zu haben und auch zu vermitteln, ist uns wichtig. Dabei wollen wir offen gegenüber modernen Einflüssen und Entwicklungen der einzelnen Stile sein», erklärt Kläntschi. «Wir versuchen, die Tänze und Rhythmen so authentisch wie möglich zu vermitteln. Dabei wollen wir unsere Kursteilnehmenden dort fördern, wo sie gerade stehen und helfen, ihre Hemmungen abzubauen», betont auch Napoles.

Viel Erfahrung

Das Tanzen begleitet die beiden fast ihr ganzes Leben lang. Kläntschi absolvierte fundierte Weiterbildungen in Jazz, Contemporary und Ballett, Salsa sowie afrokubanischen Tänzen und leitet seit einigen Jahren ihre eigene Showgruppe. Vor der Eröffnung ihrer Tanzschule, vor einem Jahr, gab sie während 15 Jahren Stunden an einer  anderen Salsaschule in Bern. Während dieser Zeit trat sie regelmässig an internationalen Tanzfestivals auf und bildete sich in New York und Kuba weiter. Napoles‘ Leidenschaft für Tanz entfachte schon sehr früh, er bekam sie als Kind in einer Musikerfamilie sozusagen in die Wiege gelegt. Der Kubaner absolvierte in seiner Heimat die Ausbildung für Musical Show- und Bühnentanz an der Escuela Nacional de Arte, nahm an nationalen und internationalen Tournéen teil und war schliesslich Teil der berühmtesten Company Kubas, der Conjunto Folklórico Nacional de Cuba. Neben der Leitung der Tanzschule gibt er heute Kurse und Workshops an verschiedensten internationalen Festivals und hat sein eigenes Musical in Spanien.

Mit sich und anderen verbinden

Es liegt also nahe, dass das Tanzen für die beiden viel mehr als Bewegung ist. «Es ist Ausdruck, Sprache, Freiheit. Dadurch können wir unseren Emotionen Ausdruck verleihen und uns mit unserem Körper, mit anderen Menschen, mit der Musik und dem Moment verbinden», erklärt Napoles. Das Tanzen fördere den Körper und Geist gleichermassen. «Es stärkt Kraft, Ausdauer, Koordination und Körperbewusstsein und somit auch das Selbstvertrauen, die Disziplin und die Kreativität. Damit bauen wir beide Stress ab, verarbeiten Gefühle und sind im Moment. Dazu kommt: Tanz verbindet Menschen über Kulturen, Sprachen und Religionen hinweg», ergänzt Kläntschi.

Massage für Gehirn und Körper

Dass das Tanzen in vielerlei Hinsicht Vorteile bringt, hat auch die Wissenschaft längst gezeigt: Die Effekte sind je nach Trainingsintensität vergleichbar mit denen anderer Sportarten. Muskeln werden gestärkt, die Ausdauer, Koordination und Haltung verbessert, die Beweglichkeit und Durchblutung gefördert, der Bluthochdruck gesenkt und sogar der Schlaf optimiert. Man baut Stress ab und schüttet Endorphine aus, womit die Stimmung gehoben wird. In Tänzen, bei denen man sich Choreographien merken muss, wird ausserdem die kognitive Ebene und gleichzeitig die Konzentration, Reaktionsfähigkeit und Kreativität gefördert. Auf verschiedene Tänze und ihre Hintergründe sowie Effekte geht auch die aktuelle Ausstellung des Kommunika-tionsmuseums Bern ein. Wer tanze vermindere das Risiko, an Demenz zu erkranken. Besuchen Menschen mit Parkinson einen Tanzkurs, verbesserten sich ihre körperlichen Beschwerden und ihr psychisches Wohlbefinden. Tanzen sei eine Massage für Gehirn und Körper, liest man dort. «Tanzen ist eine Kunstform, ein Workout, ein Ritual, eine Therapie oder Unterhaltung. Es ist eine Form der Kommunikation und ein Mittel des Protests. Es gehört zum Menschsein.»

Kein gesamtes Phänomen

Intensiv mit Tanz befasst sich auch Sari Pamer. Sie ist Doktorandin am Institut für Theaterwissenschaften an der Uni Bern. Dort untersucht sie als Doktorandin die MeToo-Bewegung und Missstände in der Ballettausbildung. Im Gespräch betont sie immer wieder, dass es nicht «den Tanz» gebe, sondern einzelne Tanzrichtungen. «Diese sind immer eine Möglichkeit von vielen, die eine Tanzgeschichte unter vielen mit sich bringen.» Da jeder Tanz andere Körper hervorbringt, könne man das Ganze nicht als gesamtes Phänomen betrachten. So liege auch der Forschungsschwerpunkt in Bern auf Zentraleuropa, etwa wenn es um die Institutionalisierung des Tanzes geht.

Eine Geschichte unter vielen

«Ab wann Menschen tanzten, können wir in der Wissenschaft nicht genau sagen. Denn wir können nur erforschen, wozu auch Quellen vorhanden sind. Und von denen haben wir wenige.» Beim Bühnentanz, der bei den Theaterwissenschaften im Fokus liegt, wisse man, dass er seinen Beginn gegen Ende des 16. Jahrhunderts fand. Damals, als sich das Ballett vom Bühnentanz und vom Musiktheater abspaltete und eine autonome Kunstform wurde. Mit der Académie Royale von Louis XIV wurde schliesslich eine Basis für die professionelle Ausbildung geschaffen. «Eine Tanzgeschichte unter vielen», betont die Tanzwissenschaftlerin und Kulturjournalistin erneut.

Mittel zum Protest

Man kann Tanz nicht verallgemeinern. Zu wenig würde man so den Tänzen unterschiedlichster Länder, Kulturen, und Erdteilen gerecht werden. Neben den körperlichen, kognitiven und sozialen Aspekten, die dabei alle gefördert werden, lässt sich aber eines ausmachen: Tanzen ist immer auch politisch, ob aufgrund seiner Geschichte oder als Mittel zu Abgrenzung und Auflehnung oder als Protest. So etwa, als im November drei Māori-Abgeordnete im neuseeländischen Parlament tanzend gegen ein umstrittenes Gesetz protestierten. Oder als vor zwei Jahren eine Gruppe junger Iranerinnen in Teheran mit offenen Haaren und mit westlicher Kleidung tanzend auf Social Media um die Welt ging und sich so gegen das Regime auflehnte. Im Bewusstsein, es würden verheerende Konsequenzen auf sie warten. Seitdem fanden sie viele Nachahmerinnen – wider den Festnahmen, die dadurch drohen. 

Akt der Auflehnung

Tanz verleiht eine Stimme, kritisiert Machtverhältnisse, gibt Minderheiten eine soziale Identität und wehrt sich gegen festgefahrene gesellschaftliche Konzepte. Da macht auch der künstlerische Bühnentanz keine Ausnahme. «Auf der Bühne wird immer auch Gesellschaftskritik geübt», erklärt Pamer. «Ein weiteres Beispiel ist das Voguing, ein urbaner Tanz aus den USA, der heute als Safespace für BIPoC (Schwarze, Indigene, People of Color) und queere Menschen gilt. Der Tanz gibt ihnen eine soziale Identität und gilt als Auflehnung gegen gängige gesellschaftliche Normvorstellungen und Strukturen.»

Verschwommene Grenze

Doch ab wann ist etwas überhaupt ein Tanz? «Diese Frage stellen wir uns in der Wissenschaft oft», lacht Pamer. Eine gängige Definition, bei der man sich einig ist, laute: Bewegende Körper in Raum und Zeit. Musik sei dabei kein Muss. Und auch Menschen nicht unbedingt. «Bei neuen Forschungsaspekten in den Tanzwissenschaften untersucht man auch Choreographien ohne Menschen, also etwa Bakterien, die choreographische Prozesse durchlaufen, oder Stadtchoreographien. Dort schaut man: Wie bewegen sich Menschen in einer bestimmten Architektur? Oder man untersucht Demonstrationen, in denen sich Menschenmassen fortbewegen», weiss Sari Pamer. Die Grenze, wo Tanz beginnt und aufhört, scheint verschwommen.

Ein Zuhause

Zurück in Bümpliz. Inzwischen  ist es 21.30 Uhr, die Bachata-Stunde neigt sich dem Ende zu. Ein letztes Mal tanzen alle zusammen die gelernten Pasitos. Spätestens jetzt sind alle ins Schwitzen gekommen – ähnlich wie nach einem Workout. Zufriedene, erschöpfte Gesichter lachen und umarmen sich, bevor sie nach Hause gehen. Auch Mirjam Kläntschi und Julio Napoles sind nach drei Stunden  des Unterrichtens müde, aber glücklich. «Beim Tanzen können wir uns selbst oder auch mal jemand ganz anderes sein, das bereichert uns. Das Tanzen ist für uns ein Ventil, ein Lebensgefühl. Es ist unser Zuhause.»

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