Es ist ein fröhliches Trüppchen, das ich im Coop-Restaurant Bethlehem für das heutige Interview ausgesucht habe. Yvonne, Brigit, Pesche, Rolf und Trudi sitzen wie jeden Morgen beim Znüni beisammen, hören aufmerksam zu, als ich meinen Wunsch nach einem Interview formuliere. Trudi Lobsiger sagt spontan zu und wechselt mit mir an einen anderen Tisch. «Die anderen brauchen nicht zuzuhören, sie können dann die Juni-BümplizWochen lesen.» Wie wahr.
Das Leben leben lernen
Geboren wird Trudi Lobsiger 1938 in Ringgenberg, geht anfänglich auch dort zur Schule, aber nur die erste Klasse. Ihre Mutter stirbt bei der Geburt ihres jüngeren Bruders. Weil der Vater in der Grube Ringgenberg arbeitet und kein «guter Vater» sein kann, wie er das gerne möchte, werden die drei Geschwister «verteilt», wie Lobsiger sagt. Sie selbst kommt nach Flamatt. Ihre Schwester bleibt beim Götti in Ringgenberg, ihr Bruder kommt zum Chemifäger nach Goldswil. Er hat zwei Mädchen, wünscht sich aber einen Buben.
Leben in Zürich
Als ihr Vater zum zweiten Mal heiratet, kehren die Kinder nadisna nach Interlaken zurück. «Ig has Läbe müesse lehre», sagt Lobsiger. Eine eigentliche Ausbildung kann sie nicht absolvieren, zieht erst einmal nach Zürich, wo sie «Nanny» bei einer Familie ist. Als die Kinder grösser werden und keine Betreuung mehr benötigen, lässt sich Lobsiger bei einer Bäckerei in Herrliberg anstellen, danach wechselt sie im gleichen Dorf in eine Buchdruckerei, lernt dort ihren Mann kennen.
Zurück nach Interlaken
Die Ehe scheitert. Lobsiger, die inzwischen junge Mutter von Daniela ist, die heute ganz in ihrer Nähe wohnt, zieht es wieder nach Interlaken. Sie arbeitet dazumal bei Chocolat Tobler, aber nicht in der Länggasse, sondern in einer Art Lager in der Lorraine, wo Pralinés für den Handel eingepackt und versandt werden. Ihr Bruder arbeitet in der Schoggi-Hauptfabrik an der Länggass-Strasse.
Platzgen spielt eine wichtige Rolle
Im Laufe unseres Gesprächs kommt Trudi Lobsiger immer wieder aufs Platzgen zu sprechen – ein alter Zielwurfsport. Nicht nur die Sportart hat es ihr angetan. Sie kocht für die Männer jeweils nach den Trainings am Mittwoch, jahraus, jahrein, bis sie diese Aufgabe Daniela übergibt. Ob ich denn nicht wisse, wo der Platzgerclub Bethlehem seine Anlage habe? Ich muss passen. Sie drängt mich förmlich dazu, auf meinem Rückweg das Klubgelände zu besuchen. Was ich dann artig auch tue.
Bereits im Mittelalter erwähnt
Dort werde ich zuerst von einem lustigen, kleinen Hund begrüsst, der sich als Baloo herausstellt. Also, nicht Baloo stellt sich mir vor, sondern sein Herrchen, Marcel «Mäsi» Friedrich, seines Zeichens Event Manager des Platzgerclubs Bethlehem, der dieses Jahr sein 80-jähriges Bestehen feiert. Ich staune: eine tolle Anlage, die sich mir präsentiert, samt Klubküche. Platzgen ist eine Sportart, die bereits im Mittelalter erwähnt und heute in der Schweiz vor allem im Kanton Bern gespielt wird. Welche Voraussetzungen benötigt man dazu? Friedrichs Antwort ist kurz und bündig: «Freude. Und nochmals Freude!» Er ist deshalb Event Manager des Platzgerclubs Bethlehem, weil sämtliche Veranstaltungen auf dem Gelände für Firmen und Vereine direkt vom Klub aus organisiert werden. Friedrich schwärmt von den Kochkünsten von Lobsiger und ihrer Tochter.
Zurück zum Start. Trudi Lobsiger wird in den nächsten Wochen nach über 50 Jahren ihre Wohnung an der Kasparstrasse verlassen und ins Alterswohnheim Fellergut zügeln – sie will anderen nicht zur Last fallen. Ich ziehe vor dieser Frau in jeder Beziehung den Hut.