Zufällig getroffen

«Ich mache keine Fast-Food-Reportagen»

Thomas Bornhauser
Biljana Kovacevic mit einem Bild ihrer Tochter Sofia, die Kriminaltechnik studiert und an «Miss»-Wahlen teilnimmt.

Foto: BO

Einfach erklärt
Biljana Kovacevic besucht ihre Cousine im Gäbelbach. Die gebürtige Serbin wohnt seit 23 Jahren in Cork/Irland. Sie hat 3 Kinder, die Tochter Sofia nimmt an «Miss»-Wahlen teil.
Für diese Ausgabe fragen wir eine Frau, die auf jemanden zu warten schien. Dennoch nahm sie sich kurz Zeit für uns. Ein Protokoll einer unerwarteten Begegnung.

Guete Tag, ich weiss, wir kennen uns nicht. Aber keine Angst, ich will Ihnen nichts verkaufen. Würden Sie sich mit mir für die BümplizWochen unterhalten?

I’m sorry, I don’t speak German.

English?

Yes. (Ich erkläre der Frau, worum es geht und ob sie bereit wäre, mit mir zu reden.) Ich bin nur zu Besuch bei meiner Cousine hier, sie heisst Milena Sherzad, betreibt die Fahrschule Maki und wohnt im Gäbelacker. Ich warte auf sie.

Daher die Frage: Woher kommen Sie?

Ich wohne seit 23 Jahren in Irland, in Cork, komme aber ursprünglich aus dem ehemaligen Jugoslawien, aus einem Gebiet, das heute zu Kroatien gehört. Wir haben später in Serbien gewohnt, sind während des Krieges geflüchtet. Mein Bruder wohnt jetzt in Norwegen, ich bin mit unseren zwei Söhnen nach Irland ausgereist.

Weshalb Irland?

Ich dachte mir, dass Englisch für die beiden Kinder einfacher zu erlernen ist. Klar, zuerst haben wir an England gedacht, aber die Einreise wäre mit vielen Schwierigkeiten verbunden gewesen, also haben wir uns für Irland entschieden. Das Land kannte damals nicht die Flüchtlingsbewegungen wie andere Nationen, wir wurden gut aufgenommen. Und schnell. Nach einem kurzen Aufenthalt in Dublin kamen wir nach Cork, wo ich nach wie vor wohne.

Mit Ihren Söhnen?

(Lacht) Nein. Lazar und Milan gehen längst ihre eigenen Wege, kürzlich bin ich sogar Grossmutter geworden. Nach den beiden Buben kam in Irland noch Sofia hinzu – Sofia mit f, nicht mit ph. Sie ist heute 21 Jahre alt, studiert Kriminaltechnik, wohnt bei mir und… (Biljana Kovacevic sucht etwas auf ihrem Handy).

Und?

Da! Schauen Sie selbst, sie ist sehr hübsch, arbeitet nebenbei als Model und nimmt an «Miss»-Wettbewerben teil. Mit Erfolg (in den Augen das Strahlen einer stolzen Mutter).

Mögen Sie etwas zum Balkankrieg erzählen?

(Schweigt sich einige Sekunden aus) Eine solche Zeit prägt Menschen, auf welche Art auch immer. Plötzlich waren wir mitten in dieser grausamen Zeite­poche drin. Und man stellt sich Fragen, die niemand beantworten kann: Weshalb passiert das? Wie können Menschen so grausam sein? Wer trägt die Schuld? Wie unsinnig verhalten sich Politiker mit versuchten Rechtfertigungen? Ich hasse Politik. 

Ich habe darauf auch keine Antwort. Lassen Sie uns deshalb über Irland sprechen: Was haben Sie gelernt?

Ich habe am University College in Cork Journalismus und Fotografie studiert und abgeschlossen. Seither bin ich als Freelancer unterwegs, habe mich auf Dokumentationen spezialisiert.

Was reizt Sie an der dokumentarischen Fotografie?

Ich leuchte ein Themenfeld gerne bis in die Details aus, will wissen, was hinter Landschaften, Menschen oder Geschichten steckt. Klar, das alles macht man nicht im Handumdrehen, das sind keine Fast-Food-Reportagen, dafür braucht es Zeit, Neugierde und Ausdauer.

Sagen Sie uns doch ein paar Worte zur Schweiz.

(Lacht) Ich kenne Ihr Land doch gar nicht, sehe es einzig mit den Augen einer Touristin. I love it, each corner! Alles scheint so ruhig hier, kein Stress.

Logisch, wir sind ja auch in Bern, dessen Einwohner als langsam und bedächtig gelten, im Gegensatz zu den Zürchern.

Dennoch. Mit meiner Cousine war ich in Thun, am Thunersee. Diese Landschaften, diese Berge, was für ein wunderschönes Land! Mein erster Kontakt war lustig. Als ich am Flughafen Basel ankam, sah ich zwei Schilder: Exit «France» und Exit «Schweiz». Ungewohnt, so etwas. Und übrigens, bevor Sie mich fragen: Ich finde die Unabhängigkeit der Schweiz gut, und damit habe ich schon alles gesagt, was es zu sagen gibt, ohne mich in die Belange der Politik eingemischt zu haben…

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