Rückblick aufs Gurtenfestival 2023

Gurten, Glitzer, gemischte Gefühle

Nadia Berger
Von Nadia Berger - Redaktorin
Schon am Nachmittag war das Festivalgelände gefüllt mit Menschen.

Foto: Foto: ©Gurtenfestival/Pascale Amez

Einfach erklärt
Mitte Juli fand das Gurtenfestival statt. 67 Bands spielten. Davon waren 16 aus Bern. Bei der Hälfte bestand die Band nur aus Frauen oder hatte weibliche Mitglieder. Schlimm war, dass es rassistische Übergriffe gab.
Das Festival hatte zur 40. Ausgabe nicht nur wettermässig einiges zu bieten, sondern auch musikalisch. Diversität war den Organisatorinnen spürbar wichtig. Im Widerspruch dazu kam es im Publikum zu diskriminierenden Zwischenfällen, die dem Festival und der allgemeinen Stimmung nicht gerecht wurden.

Der erste Tag begann sogleich mit einigen Regenschauern, sogar mit Hagel. Oder wie es die deutsche Rapperin Nina Chuba später auf Instagram dokumentierte: «Ich wäre noch im Fluss gebadet, aber es ging nicht, weil es Eisklötze geregnet hat.» Vom Wetter liess sich das Publikum aber nicht zurückdrängen, als die Reggaetongrösse J Balvin auftrat. Und auch als am vierten Tag während dem Konzert von Lo und Leduc dunkle Gewitterwolken aufzogen und das Publikum immer wieder von Regenschauern übergossen wurde, lautete das Motto: Pellerine oder Regenjacke montieren, weiterhören und -singen. 

67 Bands, 37 aus der Schweiz, 16 aus Bern

Das Festival war gut besucht, was vor allem zum Wochenende hin zunehmend spürbar war. Insgesamt 98’500 Besuchende verteilt auf fünf Tage, im Schnitt also knapp 20’000 pro Tag. Von 67 Bands waren 37, also mehr als 50 %, Schweizer Bands und Acts. 16 davon aus Bern. Viele von ihnen, etwa Nativ, Jule X, Dana, Veronica Fusaro oder Tashan, waren gut besucht. Einige so gut, dass man kaum mehr Platz fand. Wie etwa bei Nativ. Oder bei Jule X im Soundgarden, als der Boden die Menge des Publikums nicht mehr tragen konnte. Der Rapper hatte am nächsten Tag gleich noch einen Auftritt – denn durch eine verspätete Band musste ein Ersatz auf der Zeltbühne her. 

Diversität grossgeschrieben

Diversität bei den Acts war für die Festivalorganisatorinnen zentral. So achteten sie nicht nur auf die Anzahl der Berner Bands, sondern auch auf die Frauenquote (die Hälfte der Bands bestand nur aus Frauen oder hatte mindestens ein weibliches Mitglied). Diversität zog sich auch durch die verschiedenen Musikstile (Hiphop, Rap, Indie, Afrobeats, Reggaeton, Elektro, Fusion, Soul, R&B etc.) und durch die Acts an sich. So gab es neben vielen anderen Künstlerinnen und Künstlern etwa Musik vom Afroamerikaner Lil Nas X, den nigerianisch-britischen Künstlern Rema und Jacob Banks, der angolanisch-portugiesichen Sängerin Pongo, vom nigerianische Sänger Obongjayar oder der sambianischen Sängerin Sampa the great.

Vermeintlich friedlich

Starke Acts, zeitgemässes Festival. Eigentlich. Denn ganz im Gegensatz zur guten Stimmung und zum mehrheitlich friedlichen Zusammensein kam es während des Gurtenfestivals zu diversen diskriminierenden Ereignissen. Beim Auftritt des homosexuellen Rappers Lil Nas X soll es zu homophoben Zwischenrufen aus dem Publikum gekommen sein. Das Kollektiv café révolution, ein Begegnugsort von schwarzen Frauen für Menschen, die von anti-schwarzem Rassismus betroffen sind, hatte am Festival einen Stand, bei dem das Depot von Tellern, Bechern und Besteck gespendet werden konnte. Infolge von rassistischen und gewaltvollen Vorfällen musste das Kollektiv seinen Stand jedoch frühzeitig schliessen. Ihnen sei von Beginn an bewusst gewesen, dass es an einem Festival zu übergriffigem und diskriminierendem Verhalten kommen könne. Entsprechende Vorkehrungen seien getroffen worden, schrieb das Kollektiv am vierten Festivaltag in einem Statement auf Instagram. «Das Ausmass der Gewalt und des Rassismus, mit dem wir konfrontiert wurden, überstieg jedoch, was wir unserem Team und uns zumuten wollen.» Das Gurtenfestival-Team meldet sich am gleichen Tag wie das Kollektiv auf Instagram ebenfalls zu diesen Vorfällen. Sie hätten nicht mit rassistischen Vorfällen gerechnet. «Dass die (Gurten-)Gesellschaft so reagiert, erschreckt uns und führt uns einmal mehr vor Augen, dass wir nicht dort sind, wo wir als gesamtheitliche Gesellschaft sein sollten.»

Grosser Widerspruch

Ein diverses Festival, dessen Organisationsteam Diversität grossschreibt. Das versucht, einen Anlass zu veranstalten, an dem alle willkommen sind, an dem sich alle wohl fühlen. Und dessen Publikum, oder aber zumindest Teile davon, offensichtlich noch nicht so weit sind. «Dieses Festival ist gefüllt mit Schwarzer Musik, Kunst und Kultur, die bereitwillig konsumiert wird. Das steht im starken Widerspruch zur Behandlung von vielen schwarzen Menschen auf dem Gelände», schreibt café révolution in einem Statement. Nach dem diesjährigen Gurtenfestival bleiben trotz starker Acts und vielen positiven Emotionen auch traurige Gefühle zurück.

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