«Mother Mary, so können Sie nicht vor den Herrn treten…»

Gewisse Erlebnisse sind kaum zu glauben…

Thomas Bornhauser
Schloss Kylemore wurde vom Industriellen Mitchell Henry gebaut.

Foto: Foto: zvg

Einfach erklärt
Einfach erklärt:  – In Irland gibt es ein grosses Schloss – Es ist heute ein Kloster – Der Autor traf dort in den Ferien die Nonne «Mother Mary» (Mutter Maria) – «Mother Mary» heisst auch ein Lied der Beatles – Der Autor sagte der Nonne, dass sie unbedingt das Lied hören soll
Es war einmal ein sehr, sehr reicher Engländer, Mitchell Henry, der sich in eine Landschaft in Irland verliebt hat. Zu Ehren seiner Frau Margaret – die ihm acht Kinder schenkte – liess er ein Märchenschloss inmitten einer grossartigen Anlage bauen.

Nur vier Jahre nach Fertigstellung des Anwesens verstarb Margaret 1874 erst 45-jährig an der Ruhr. Henry lebte noch 35 Jahre, zum Schluss jedoch völlig verarmt, nicht zuletzt, weil er mit Investitionen in Minen ein Fiasko erlebte. 1920 schliesslich wurden Schloss Kylemore und 405 Hektaren Land dem Benediktinerinnenkloster für etwas mehr als 45’000 Pfund verkauft. 1923 eröffneten die Nonnen in Kylemore Abbey eine internationale Internatsschule und eine Tagesschule für die ortsansässigen Mädchen. Die Haupteingangshalle der Abtei und die angrenzenden Räume wurden restauriert und sind heute für die Öffentlichkeit zugänglich. Den Rest der Abtei bewohnen Nonnen. Und hier beginnt unsere Geschichte.

Als ich das Gelände von Kylemore Abbey verlasse, fällt mir auf, dass eine Nonne sich an einem Tisch mit zwei Leuten unterhält. Ich nähere mich dem Tisch, an welchem sie sitzen, sage gleich zu Beginn, dass ich nicht stören, sondern nur schnell etwas sagen will. Das tue ich auch, in Richtung der Nonne: «Sie sind ja sozusagen Mitbesitzerin dieses fantastischen Ortes, dazu möchte ich Ihnen und Ihren Schwestern herzlich gratulieren, das ist grossartig! Ich lasse Sie jetzt wieder allein.» – «Nein, bleiben Sie ruhig hier, das freut mich, dass Sie das sagen. Wie heissen Sie denn – und woher kommen Sie?», will die Nonne wissen. Ich stelle mich vor – natürlich nur mit Vornamen – und erwähne die Schweiz. Ihre beiden Gesprächspartner schmunzeln, stellen sich als Italiener vor. «Purtroppo, io non parlo italiano.» Sie meinen, dass sei bereits mehr als das, was sie Deutsch sprechen.

«Und wie heissen Sie?», will ich von der Nonne wissen. Sie sei Mother Maire, was auf Irisch gleichbedeutend mit Maria oder Mother Mary ist. Mother Mary? Kennen wir doch. «When I find myself in times of trouble, Mother Mary comes to me, speaking words of wisdom, let it be.» Mutter Maria weiss nicht, was ich damit meine. Ich wiederhole mich, sie sich auch. Die Italiener und ich schauen uns ungläubig an. «Die Beatles, der vielleicht bekannteste Song von Paul McCartney?» Was nun folgt, ist kaum zu glauben. «Thomas, ich weiss, wer die Beatles sind, aber ich kenne kein Lied von ihnen.» Ich frage mich ernsthaft, ob Mother Mary den Film «Yesterday» gesehen hat, in welchem die Menschheit die Beatles auch nicht zu kennen scheint? Nein, versichert sie uns, sie kenne wirklich kein Lied der Beatles.

Ich erkläre ihr dann den Text und wie Paul McCartney darauf gekommen ist. In einem Interview mit «Carpooler» Jamie (vom Besten, was es gibt!) erklärt der ehemalige Beatle, wie es zum Text kam. Seine verstorbene Mutter, Mary, sei ihm – als es in der Band Streitereien gegeben habe –  im Traum begegnet und habe ihm gesagt, dass er es einfach geschehen lassen solle. Let it be.

«Darf ich Sie fotografieren, Mother Mary, als Erinnerung an diese Begegnung?» Sie willigt ein, aber ich solle das Foto nicht veröffentlichen. Ich verspreche es ihr. Das einzig ist der Grund, weshalb ich Ihnen die schätzungsweise 85-Jährige im Bild vorenthalte und «nur» Kylemore Abbey zeige.

Wie auch immer: Die beiden Italiener und ich flehen Mother Mary geradezu an, dass sie sich den Text dieses einen Beatles-Songs anhört. «Mother Mary, so können Sie nicht vor den Herrn treten, wenn Sie das Zweitwichtigste im Leben verpasst haben!», bekommt sie von mir zu hören. Nein, versprochen hat sie es uns nicht, mich zum Schluss aber gefragt, ob ich ein ungläubiger Thomas sei. «In Ihrem Fall schon ein bisschen…», verabschiede ich mich schmunzelnd.

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