Karl Zwahlen (85)* vom Alters- und Pflegeheim Domicil bestätigte mit seinem Spaziergang noch vor dem Zmorge alle Vorurteile, dass ältere Menschen unter der senilen Bettflucht leiden. Er hatte keine Wanderung vor, nur ein «Uhu», ums Huus ume. Neugierig, wie er war, schaute er bei seiner Runde auch ins Holzhaus auf dem Kinderspielplatz, dessen Türe sich nur mühsam öffnen liess. Kein Wunder, denn dahinter lag ein Mensch, der auf Zurufe nicht reagierte. Zwahlen eilte subito zurück ins Heim, von wo aus der Polizeiposten an der Bernstrasse angerufen wurde. Das heisst, weil Sonntagmorgen, ging der Anruf direkt an die Zentrale am Berner Waisenhausplatz.
Gwundrigi Oldies
Jene Patrouille, die sich am nächsten beim Fundort befand, wurde an die Normannenstrasse beordert. Als sich herausgestellt hatte, dass dem Mann nicht mehr zu helfen war, vergingen nur wenige Minuten, bis – Polizeijargon – «das ganze Rösslispiel» nadisna die freien Parkplätze in Anspruch nahm: Staatsanwalt, Mitglieder des Dezernats Leib+Leben, Rechtsmedizin, der Kriminaltechnische Dienst KTD, die Medienstelle. Selbstverständlich wurde der Fundort grossräumig abgesperrt, denn es dauerte nicht lange, da hätte man meinen können, die Domicil-Bewohnenden seien auf einem Ausflug, schön artig wie in einer Perlenkette hinter den Bändern aufgereiht.
«Esthi, was haben wir hier?», erging von Dezernatsleiter Viktor «Fige» Kneubühl an die Rechtsmedizinerin Esther Hasler. «Angesichts der Aussentemperatur gehe ich beim Todeszeitpunkt von zwischen 5 und 6 Uhr aus, die Totenstarre ist noch nicht ausgeprägt. Sicher ist, dass der Mann um die 50 – er hatte keine Papiere bei sich – aus nächster Nähe erschossen wurde. Mehr nach…» «…der Autopsie, wie immer, danke, Esthi.»
Die nächsten Erkenntnisse kamen von KTD-Spezialist Urs Rütimann. Fundort nicht Tatort. Schleifspuren vom Parkplatz zur Holzhütte. Die grosse Überraschung: Beim Toten handelte es sich um Simon Bärtschi einen V-Mann der Kantonspolizei Bern, der einem Maulwurf innerhalb des Korps auf der Spur schien. Dabei ging es darum, herauszufinden, weshalb regel-
mässig vermutete illegale Spielkeller ausgerechnet dann zu gemütlichen TV-Treffs umfunktioniert wurden, wenn eine Razzia anstand.
Beobachtungen einer Bewohnerin
Es lag auf der Hand – angesichts der noch immer unübersehbaren Menge an Zuschauenden – Fragen zu stellen, ob jemand «vor ungefähr zwei Stunden per Zufall aus dem Fenster» geschaut hätte. Und tatsächlich. Klara Zumstein* (82) hatte in der Dunkelheit vor ihrem Gang zur Toilette zwei Männer vor einem «dunklen Auto» beobachtet, die jemanden anscheinend beim Laufen in Richtung Holzhaus stützten. Sie habe sich dabei aber nichts Weiteres gedacht, «ich vermutete junge Leute, die von einer Party kamen und zum Holzhaus wollten, um dort weiter zu feiern.» Der KTD konnte den Abstellplatz des Autos eingrenzen und Spuren sichern, worauf der Fundort wieder freigegeben wurde – und die Zuschauermeute sich auflöste.
Weil Viktor Kneubühl sich mit einem anderen Fall beschäftigen musste, der kurz vor dem Abschluss stand, war es vor allem seine Mitarbeiterin Regula Bürki, die in der Causa Bärtschi recherchierte. Es überraschte sie nicht wirklich, als sie im Zuge ihrer Ermittlungen bei der Durchsuchung der Wohnung des Toten noch am Sonntagmittag feststellen musste, dass vermutlich kurz vorher Dritte nach dem suchten, worauf auch sie aus war – nämlich auf Hinweise zum Maulwurf. Fehlanzeige, ebenso, was die elektronischen Geräte anging.
Erst einige Wochen später konnte Regula die einzelnen Puzzleteile endlich zu einem Ganzen zusammensetzen. Simon Bärtschi, welcher der Polizei seit Jahren gute Hinweise als V-Mann liefern konnte, wurde von Mitgliedern einer Geldwäscherbande liquidiert. Der allerdings nach wie vor unbekannte Maulwurf hatte Bärtschi bei einem Treffen mit einem Polizeiangehörigen per Zufall beobachtet und ihn bei den Kriminellen gemeldet. Die Bande wechselte danach ihre Taktik der illegalen Spielwetten, dennoch wurde der Maulwurf enttarnt, wie geahnt, ein Fahnder der Kapo Bern.
*Alle Namen frei erfunden.