Wenn er den Raum betritt, ist es so, als ob ein wärmender Sonnenstrahl die Stimmung verändert. Sein Lächeln steckt an. Nur wenigen Fremden ist es vorbehalten, in nur einem Augenblick so viel Sympathie zu erzeugen. Im Westen von Bern zuhause betreut Imam Abdul Wahab Tayyab seine muslimische Gemeinde in ganz Bern und Solothurn. «Wir versuchen die Distanz zu verkleinern», sagt der 35-Jährige. Das Wörtchen «wir» soll das folgende Gespräch prägen. Tayyab stellt sich selbst in den Hintergrund, die Botschaft seiner Glaubensgemeinschaft dafür in den Vordergrund. Und mit ihr Taten, die für sich sprechen. Gemeinsame, interreligiöse Gebete und viele Aktionen wie Blutspenden, Aufräumen von Strassen und Pflanzen von Bäumen. «Wir sollen uns auch für den Staat einsetzen, in dem wir leben dürfen», begründet er all die Aktionen und nimmt auf den Koran Bezug.
Wenn Friede im Vordergrund steht
Der Imam erstaunt. Wenn er aus dem Koran zitiert, findet er Worte der Liebe, der Gemeinsamkeit und des sozialen Miteinanders. «Es gibt Personen, die im Namen der Religion falsch handeln, welche sie missbrauchen. Wir versuchen, das Bild richtigzustellen», sagt Tayyab. Und die Beispiele plätschern wie Wasser ins Gespräch ein. «Wir glauben, dass der Islam eine friedliche Religion ist. Zentral ist das Wort ‹Salam›, was Friede bedeutet. Ein Muslime verbreitet Friede, wenn er zur Begrüssung ‹Salam› sagt. Statt ‹Hallo› also in etwa ‹Friede sei mit dir›. Viele Begriffe werden missverstanden, stellt er fest. «Dschihad hat nichts mit dem Kampf nach aussen gegenüber anderen zu tun, sondern ist nach innen gerichtet. Es geht darum sich selbst zu reformieren, um ein guter Mensch zu werden.» Genauso wie «Allahu Akbar» kein Schlachtruf sein sollte, sondern ganz einfach «Gott ist der Grösste» bedeutet.
Wenn Gemeinsamkeiten überwiegen
Und wer jetzt Parallelen zum christlichen Glauben findet, der täuscht sich keinesfalls. Der Islam, das Christentum und das Judentum entspringen nicht nur derselben Region, sondern auch denselben Schriften. «Als Muslime sind wir verpflichtet, an alle Propheten, die jemals erschienen sind, zu glauben. Für mich ist das eine Lehre der Toleranz, denn viele Streite beginnen mit dem, das alles andere falsch ist. Der Islam aber bestätigt ja alle und besagt, dass sie von dem einen einzigen Gott abstammen.» Wie konnte es demnach so grausame Kriege geben? Seit Jahrhunderten, von den Kreuzrittern im Mittelalter bis zu den neusten kämpferischen Auseinandersetzungen zwischen Israel und der Hisbollah? «Oft wird übersehen, dass Religion an sich nicht zu Gewalt aufruft. Es gibt jedoch Personen, die im Namen der Religion falsch handeln und sie für ihre eigenen Zwecke missbrauchen. Wir versuchen nach Kräften, dieses Bild richtigzustellen.» Imam Tayyab geht den Weg der Gemeinsamkeiten. Er zeigt auf, dass das, was uns alle verbindet, viel grösser ist, als das, was uns trennt. Und findet auch hier den Passus im Koran: «Für uns ist Gewalt immer ein Zeichen, dass man sich von Gott entfernt. Religion hat zwei Aufgaben, sie lässt den Menschen seinem Schöpfer begegnen und lehrt die Pflichten gegenüber den Mitmenschen. Wenn man Gott liebt, muss man seine Schöpfung automatisch lieben, anders geht es ja gar nicht.»
Wenn Begegnungen Vorurteile überwinden
Seine Worte klingen wie ein Kontrast zu all dem, was die Medien aus den verschiedenen Konfliktherden dieser Welt zu berichten wissen. Vielleicht tragen diese eine Mitverantwortung, wenn sie dem Krieg so viel Platz einräumen und dem friedlichen Miteinander einer Mehrheit der Menschen kaum eine Zeile würdigen. Rund 5 % der bernischen Bevölkerung gehören einer islamischen Glaubensgemeinschaft an. Ein ansehnlicher Teil dieser rund 42‚000 Menschen lebt im Stadtteil VI. Eine genaue Zahl gibt es bei der Stadt Bern nicht, weil diese nur die sogenannten «Staatsreligionen» erfasst. Bei der Arbeit, im Verein, in der Kultur, Christen, Atheisten, Muslime und viele andere begegnen sich im Alltag und haben sich schätzen gelernt. Oder wie Tayyab sagt: «Gott ist barmherzig und so muss der Mensch sein.» Imam Abdul Wahab Tayyab kommt als Fremder und geht als Freund. «Shkran» (Danke) für diesen Einblick.
Zur Person:
Der 35-jährige Abdul Wahab Tayyab ist in St. Gallen aufgewachsen. In England liess er sich zum Imam ausbilden. Seine Familie stammt aus Pakistan. Dort ist auch die Ahmadiyya Muslim Jamaat beheimatet, die es seit 1889 gibt und die weltweit mehr als zehn Millionen Anhänger hat. In der Schweiz ist die Gemeinde seit 1946 aktiv und hat mehrere regionale Zweigstellen. Abdul Wahab Tayyab ist Imam der Ahmadiyya-Gemeinde in der Region Bern und Solothurn.