«Ich glaube, dass ich in der Exekutive schnell Fuss fassen würde», sagt Anderegg (Grünes Bündnis), ohne dabei auch nur ansatzweise arrogant zu klingen. Zu lange ist sie schon im Stadtrat, zu vielen Dossiers hat sie schon den Stempel aufgedrückt. Und um diesem Vorhaben noch etwas Tiefgang zu verleihen, fasst sie ihr Wahlprogramm nicht in einem worthülsenähnlichen Slogan zusammen, sondern streicht mehrere Punkte heraus.
Vorwärts beim Klima
Und es liegt auf der Hand, dass dabei die Klimapolitik zuoberst steht. «Wir müssen mehr machen als bis jetzt. Die Stadt Bern will bis 2045 CO2-neutral sein; das ist per se schon nicht allzu ambitioniert. Es ist möglich, auch in Bern die CO2-Emissionen bis 2040 auf Netto-Null zu reduzieren», klingt die Historikerin und Gleichstellungsexpertin bestimmt. Unlängst hat der Gemeinderat einen Zwischenbericht herausgegeben. Daraus geht hervor, dass die Bundesstadt dem Ziel 2045 hinterherhinkt. «Klimaschutz muss viel höher priorisiert werden. Die Stadt hat noch viele freie Flächen für Photovoltaik, zu viele fossile Heizungen und es durchkreuzen nach wie vor zu viele Autos die Stadt. «Es ist sichtbar, dass es zu wenig schnell vorwärts geht», fasst sie zusammen. Von der neuen Energie- und Klimastrategie erhofft sie sich wirksame Massnahmen, um die Absenkpfade zu erreichen. Auf ihrem Wahlprogramm klingt das so: «Mehr Platz für Menschen statt für Autos. Eine autofreie Altstadt plus ein weiteres autofreies Quartier bis 2030 (nur noch Zulieferung/Gewerbeverkehr).» Das schafft Raum, um Flächen zugunsten der Biodiversität zu entsiegeln.
Wohn- und Sozialpolitik
Grünes Bündnis. Das zweite Wort entspringt demselben Wortstamm wie verbinden oder Verbundenheit. Anderegg will das solidarische Zusammenleben in den Quartieren fördern. «Auf meiner Tour durch den Westen von Bern habe ich oft gehört, dass man sich mehr Begegnungsräume wünscht und bedauert, dass Restaurants zumachen», nimmt sie Bezug auf den Stadtteil VI. Es brauche zusätzliche Räume oder Häuser für Begegnungen, Kultur, Jugendliche und Religionsgemeinschaften. Die Stadt Bern ist verpflichtet, 1/3 der Neubauwohnungen bezahlbar zu halten. «Bei neuen Überbauungen muss das künftig die Hälfte sein», fordert sie und betont: «Zudem müssen wir den Grundsatz in der Stadt verankern, dass wir mehr sanieren, statt neu zu bauen. Das ist klimaschonend und sorgt für günstigeren Wohnraum.» Ausserdem soll die Stadt kontrollieren, dass Wohnräume nach solchen Sanierungen nicht plötzlich doppelt so teuer sind. Und die sozialen Angebote sollen niederschwelliger werden, meint sie im Zusammenhang mit dem Zugang zu Ergänzungsleistungen, Betreuungsgutscheinen oder Gesundheitsfragen.
Gleichstellung und Migration
Als Gleichstellungsexpertin der Universität Bern verwundert es nicht, dass Anderegg diesen Bereich mit ins Wahlprogramm nimmt. «Der Westen der Stadt Bern ist bei Kita-Plätzen unterversorgt», beginnt sie. Kitas sind dem freien Markt ausgesetzt und das und das ist eine Konsequenz davon. Wie auch die Tatsache, dass dies zu höheren Elterntarifen und tieferen Löhnen führt. Kitas sollen einerseits günstiger werden, anderseits sollen die Betreuenden bessere Arbeitsbedingungen erhalten, fordert sie. «Bern ist eine Stadt für alle», heisst es in ihrem Wahlprogramm. Damit das keine Worthülse wird, bindet sie einen bunten Strauss an Massnahmen. Verständliche Abstimmungstexte, die psychische Gesundheit in den Asylunterkünften miteinbeziehen, ein Regenbogenhaus für die queere Community sind ein paar Beispiele dafür.
Kreislaufwirtschaft
Kosten all die Massnahmen bis hierher nicht viel Geld? In einer Stadt, die nicht auf Rosen gebettet ist? Anderegg nervt sich ein wenig, wenn die Finanzen Berns so dargestellt werden. «Seit Jahren ist die Rede von vermeintlich tiefroten Stadtfinanzen, dabei verfügt die Stadt über Reserven von 100 Mio. Franken und kann momentan so viel in Schulraum, Sportanlagen und die Infrastruktur investieren wie noch nie. Schuldenvermeidung als Selbstzweck, wie es die Bürgerlichen fordern, finde ich sehr kurzsichtig und inhaltsleer. Wir brauchen einen guten Service Public und müssen jetzt in die Bekämpfung der Klima- und Armutskrise investieren. Das wird sich für die Zukunft auszahlen.» Und siehe da, auch in ihrem Wahlprogramm geht es um Finanzen und Wirtschaft. Kreislaufwirtschaft um genau zu sein. Auf lokale und kleine Unternehmen legt sie dabei besonderen Wert und will zum Beispiel die Bevorzugung von Pop-Up-Angeboten gegenüber dem Gewerbe stoppen.
Sie strotzt vor klaren Botschaften. Das ist erfrischend. Und wenn die Kandidierende in Fahrt kommt, dann geht es meist um Benachteiligungen, hier will sie den Hebel ansetzen. «Der Breitensport hat eine wichtige soziale Funktion – YB hingegen floriert auch ohne städtische Hilfe», heisst es zum Beispiel bei ihrem Wahlprogramm im Bereich Sport. Sport ist Sport, Randsportarten sollten deshalb nicht mehr länger am Rand stehen. Die Forderungen wirken mutig, zumal bekannt ist, dass in einigen Punkten nicht alle mit Begeisterungsstürmen reagieren werden. Mutig sind sie aber nicht für Ursina Anderegg. Eher dringend nötig. Sie will vorwärtsgehen und weiss, was sie will. Eine Kennerin und Könnerin.