In der Januarausgabe zeigte ein Artikel in dieser Zeitung bereits auf, was die Stadt Bern im Mädergut plant. Dank Verdichtung soll bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden und mehr als dreimal so viele Menschen wie jetzt dort wohnen können.
Zwei Bewohnerinnen
Im Restaurant Sternen in Bümpliz treffen wir R und A (Namen der Redaktion bekannt). Wenn ihr kleines Einfamilien-Reihenhaus abgerissen werden würde, wüsste sie nicht wohin, sagt R ratlos und bedrückt. Sie möchte dort bleiben, bis sie «ins Alterheim gehen oder im Sarg liegen müsse», denn sie wohne seit fast 30 Jahren im Mädergut-Areal. Wegen dieser drohenden Verdrängung gehe es ihr gar nicht gut, sagt sie und möchte nach Hause gehen. Aber A, eine Nachbarin, würde uns Auskunft geben.
Nachbarschaft
Die Nachbarn im Mädergut haben Kontakt miteinander und nehmen Anteil an ihren unterschiedlichen Lebensmustern. Alle wohnen hier gerne in diesem ländlichen, autofreien Quartier mit bezahlbaren Wohnungsmieten, inmitten uralter Bäume und nahe bei guten Einkaufsmöglichkeiten und öV-Verbindungen. Die Nachbarin A möchte für alle Bewohnenden des Quartiers sprechen und findet daher ihren Namen nicht wichtig. Sie ist Künstlerin und Innenarchitektin, und zeigt mit ihrer offenen Gesprächsbereitschaft die grosse Dringlichkeit, über die in fünf Jahren geplante Überbauung zu sprechen.
Die Folgen
Sie würden zum Quartier und zu den Nachbarn Sorge tragen. «Man soll dort sanieren, wo es nötig ist. Es kann doch nicht sein, dass man diese ganze 1918 entstandene, denkmalgeschützte Siedlung einfach umzont und abreisst und diese Kühle spendenden Riesenbäume einfach abholzen kann», sagt A Man habe die Siedlung vor etwa 27 Jahren mit viel Geld der Denkmalpflege und der Wohneigentumsförderung renoviert. «Die Hitze in den Städten ist heute zum Problem geworden, da sind die Bäume eine geeignete Massnahme, dieser entgegenzuwirken.» In Quartieren, wie dem Mädergut, entstandene Gemeinschaften könnten nicht mehr funktionieren, wenn alle Bewohnenden an verschiedenen Orten wohnen würden.
Hier verwurzelt
Wie R gehe es ihnen allen, sagt A Sie möchten in dem «Paradies», in dieser «Oase» bleiben, sie seien da verwurzelt, lieben die Wohnungen und Vorgärten. «Da wir den Spielplatz unter den Bäumen mit Grill und Pizzaofen und den spielenden Kindern vor dem Haus haben, begrüssen wir neue Betonbauten und -flächen, die Wärme speichern und Anonymität ausstrahlen nicht.» Weniger Komfort, weniger Wohnfläche, weniger hohe Ansprüche: ein Zukunftsmodell. «Unsere Wohnungen haben 3,5 Zimmer, winzige Nasszellen und kleine Küchen. Die Bausubstanz der Häuser ist gut, mit Naturmaterialien gebaut und unterkellert. Viele junge Leute möchten heutzutage weniger luxuriös, dafür mit hoher Lebensqualität wohnen», sagt sie. Das würden die jetzigen 2–3-stöckigen Reihenhäuser unter den Baumkronen bieten, aber nicht anonyme, neue und grössere Bauten. Die versprochenen Grünflächen wären zu klein und nicht natürlich gewachsen und die Neu-Überbauung würde mehr Menschen als nur 300 betreffen, denn hinter diesen berechneten Einheiten stehen ganze Familie. «Heutzutage werden oft mietgünstige Wohnungen abgerissen oder saniert. Die neuen Wohnungen können sich die Betroffenen meist nicht mehr leisten. Bei kleinem Budget rutscht man halt eher zusammen und nimmt kleine Wohnungen in Kauf», so die besorgte A.
Projekte
Sie möchte eine Interessengemeinschaft (IG) zur Erhaltung der Siedlung gründen. Sie schlägt Zukunftsprojekte vor, wie z. B. mit Kindern Bäume zu zählen, Säulen mit Naturmaterialien einzupacken, mit Kindern in Gärten zu arbeiten. «Man könnte auch einigen Leuten eine Verantwortung für ein Teilgebiet im Quartier übertragen und so die Liebe zum Quartier Mädergut in der jüngeren Generation stärken», denkt A laut.
Wünsche
Bedürfnisorientiertes Planen sollte von den Bewohnenden ausgehen und nicht von den Planenden selbst. Die Bevölkerung sollte noch mehr an den Entscheidungen teilhaben können, als es bis jetzt der Fall war. Eine alternative Lösung könnte eine sanfte Renovation von einzelnen Häusern (eventuell mit Aufstockung) sein. Gedacht werden sollte dabei spielerisch und nicht zentralistisch, der spezielle Charakter der Siedlung sollte bestehen bleiben. Die natürlichen Grünflächen müssten erhalten bleiben, unbedingt.
Das Projekt
Die geplante Überbauung könnte zur Folge haben, dass die Gebäude entlang der Brünnackerstrasse abgerissen werden müssen. Entstehen sollen insgesamt bis zu 412 Wohnungen für 1112 Personen. Die Hälfte davon sollen Grosswohnungen ab vier Zimmer sein, aber auch hindernisfreie Kleinwohnungen, neue Wohnformen wie Clusterwohnungen oder Generationenwohnen sollen gebaut werden. Aktuell erarbeitet das Stadtplanungsamt eine Planungsvorlage. Es folgt eine Mitwirkung für die Bevölkerung, bevor die Stimmberechtigen bei zwei Urnenabstimmungen die Weichen stellen können. Der Baustart ist frühestens für 2030 vorgesehen.