Zufällig getroffen

«Die Kinder sind uns wichtiger als Doppelverdienst»

Thomas Bornhauser
Oliver S. mit seinem jüngsten Sohn.

Foto: BO

Einfach erklärt
Oliver S. wohnt in Bümpliz und ist Vollzeit-Papi. Seiner Frau und ihm ist es wichtig, die Buben – 3 und 1 Jahr alt – aufwachsen zu sehen.
Wir versuchen immer, diese zufälligen Begegnungen mit uns Unbekannten so abwechslungsreich wie möglich zu gestalten. Heute fällt es uns nicht schwer, sitzt doch da ein Vater mit seinem Kleinkind in der Confiserie Eichenberger im Westside. Ob er mitmachen wird? Wir haben Glück: Oliver S. aus Bümpliz ist zu einem Gespräch bereit.

Sind sie Vollzeitpapi?

(Schmunzeln) Ja genau, seit vergangenem Februar.

Hat das einen besonderen Grund?

Ja, durchaus. Ich hatte einen 100 %-Job im Aussendienst der Metallbranche, meine Frau war zu 60 % angestellt. Neben dem Einjährigen, der hier bei mir ist, haben wir noch einen dreijährigen Sohn. Der vergnügt sich im Moment im Kinderparadies, so dass wir beide ungestört einkaufen können, sobald Sie mit mir fertig sind (lacht). Meine Frau und ich haben uns entschieden, eine Art Jobrotation zu vollziehen, sie arbeitet zu 100 %, ich übernehme die Kinderbetreuung zu Hause, in allen Einzelheiten.

Wieso dieser Entschluss?

Die organisatorische Belastung war uns bei der 100 %- und 60 %-Variante zunehmend zu hoch, genauso wie die Kita-Kosten. Die Kinder stehen an erster Stelle und sind uns wichtiger als der Doppelverdienst. 

Was macht Ihre Frau beruflich?

Sie ist im Justizvollzug tätig.

Es ist Ferienzeit, obwohl Sie mit den beiden Kiddies noch nicht auf die Schulferien achten müssen. Wohin des Weges?

2024 setzen wir mit Auslandferien aus. Wir waren letztes Jahr in Sardinien, wo der Ältere so richtig zu zahnen begonnen hat. Sie werden sich vorstellen können, wie erholsam das für uns alle war… So bleiben wir zu Hause, machen Ausflüge in der Schweiz.

Zum Beispiel?

Unser Land ist derart schön! Wir sind viel in den Wäldern anzutreffen – oder auf Wegen, die sich für Kinder eignen. Der Seeweg mit dem Drachen beim Schwarzsee ist so einer. Und bei schönem Wetter gehen wir in die Badi.

Stichwort schöne Schweiz. Mehr und mehr ist von Overtourism zu lesen. Lauterbrunnen, Grindelwald, Interlaken, um nur drei Orte im Kanton zu nennen. Es regt sich Widerstand aus der Bevölkerung. Haben Sie dafür Verständnis?

Ja, das habe ich. Würde ich in so einem Hotspot wohnen – das gilt auch für Barcelona, Venedig und andere Städte –, wäre ich bei solchen Demos vermutlich auch dabei. Der Alltag muss doch für die örtliche Bevölkerung Vorrang haben. Es geht doch nicht an, dass diese Leute zurückstehen müssen. Wenn ich daran denke, dass Ladenbesitzer am Ballermann ihre von Betrunkenen kaputt geschlagenen Fensterscheiben ersetzen müssen, stellt man sich schon die eine oder andere Frage.

Wir Schweizerinnen und Schweizer belagern in den Ferien ja auch Wien oder Paris…

Da haben Sie natürlich recht, wir sind im Ausland ja auch Touristen. Nur: Ich würde doch niemals in der Hochsaison an einen Ort gehen, von dem man zum vornherein weiss, dass er überlaufen ist. Wie gesagt, da gibt es doch viele schöne Alternativen. In der Schweiz, im Schwarzwald, in Südtirol.

Was müsste man Ihrer Ansicht nach tun, um diesen Overtourism einzudämmen?

(Seufzer) Da fragen Sie mich etwas… Ich bin kein Fachmann, habe dazu spontan keinen Vorschlag, da gibt es gescheitere Leute. Eine Möglichkeit wäre vielleicht, wenn auch nicht in direktem Zusammenhang, den Hebel bei den Zweitwohnungen anzusetzen. Es kann doch nicht sein, dass Leute sich eine Zweitwohnung als reine Kapitalanlage kaufen, die dann schlimmstenfalls bis auf zwei, drei Wochen im Jahr leer steht und dazu führt, dass Einheimische praktisch keinen bezahlbaren Wohnraum mehr finden. Hier müssten die Behörden genauer hinschauen – wobei ich natürlich nicht weiss, wie sehr ihnen die Hände gebunden sind. (Schaut auf die Uhr) So. Seien Sie mir nicht böse, ich muss jetzt zum Einkaufen und dann unseren Buben im Kinderparadies abholen, um uns dreien Zmittag zu kochen, bevor die Kleinen ihren Mittagsschlaf machen.

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