Es lauern vermehrt tödliche Gefahren für die KMU

Bedrohte Glanzlichter im Schatten der Region

Sacha Jacqueroud
Von Sacha Jacqueroud - Chefredaktor
Es ziehen Wolken auf, vor den sonnigen KMU, welche die Schweizer Wirtschaft so stark machen.

Foto: Foto: zvg/EE

Einfach erklärt
KMU sind wichtiger als man denkt. Doch das Erfolgsmodell Nummer eins der Schweiz ist zusehends bedroht. Von Grossisten, halbstaatlichen Unternehmen, Verwaltungen und der digitalen Welt.
Immer grösser, immer weiter. Und wo Wachstum nicht mehr möglich ist, wird fusioniert oder übernommen. Die Tendenzen in der Schweizer Wirtschaftswelt geben Anlass zur Sorge. Auch hierzulande. Seit ein paar Jahren gefährden sie zusehends das Erfolgsmodell KMU.

Die Meldungen mehren sich, dass kleine und mittlere Unternehmen im Verteilgebiet unserer Zeitungen in das Portfolio grösserer Konsortien übergehen. Auf den ersten Blick aus altbekannten Gründen: Die Nachfolgeregelung misslingt oder man findet keine Mitarbeiter mehr. Auf den zweiten Blick aber bedrohen Grossisten, Verwaltungen und halbstaatliche Unternehmen mit ihrem Verhalten ganze Branchen. Wobei bedrohen gestern war. Viele kleinere und mittlere Betriebe (KMU) mussten schon schliessen. Die HSG St. Gallen hat kürzlich eine Studie veröffentlicht, die aufzeigt, dass die einst so stolze Konstante der Schweiz, die
99 % KMU, erstmals seit Jahrzehnten rückläufig ist.

Das Problem mit den Grossisten

Das Prinzip ist so einfach wie zerstörerisch. Wenn ein KMU einen Trend bedient und eine Innovation in den Markt transportiert, werden Grossisten diese kopieren und auf den Zug aufspringen. Sie dringen dabei in jede Marktnische vor. Eine Mi-gros, ein Coop und andere bieten längst nicht mehr nur Lebensmittel an. Von den Ferien über das Fitnesscenter bis zur Bank
– kaum ein Bereich, den die Grossisten nicht bespielen. Dem KMU bleibt einzig die Hoffnung, dass die Konsumentin treu bleibt und das Angebot als qualitativ besser einstuft. Getreu dem Motto: Wer kopiert, hinkt hinterher. Das gilt auch für den Bäcker, den Metzger, die Papeterie oder das Modegeschäft. Sie kennen diese Konkurrenz seit Jahrzehnten und haben ihr lange getrotzt. Doch auch hier ist es offensichtlich. Die Zahl der Bäckereien, Metzgereien, Papeterien oder Kleidergeschäfte ist rückläufig.

Das Problem mit den 

Verwaltungen

Doch KMU sind agil, innovativ und näher an den Menschen dran. Sie haben einen Wissensvorsprung gegenüber den Grossisten. Also alles nur halb so schlimm? Auftritt kantonale Verwaltungen. Nicht die kleinen Baugesuche sind das eigentliche Problem, nein, der Kanton denkt sich immer neue Regelungen aus, am Tisch statt draussen bei den Firmen. Der Aufwand steigt, die Kosten sowieso. Die Weltbank hat eine grossangelegte Untersuchung gemacht und kommt zu dem  Schluss, dass die Schweiz besonders von der Bürokratie betroffen ist. Sie rangiert sogar schlechter als die EU – wer hätte das gedacht? 6 Mrd. Franken jährlich kosten die Mehraufwände die KMU. Dass der Ruf nach weniger Bürokratie lauter wird, sollte also auch bei jenen langsam ankommen, die nach wie vor politisch fleissig weitere neue Gesetze bestellen, welche die Wirtschaft kontrollieren, sanktionieren und dirigieren. «So macht’s einfach keinen Spass mehr», sagte unlängst ein KMUler an einer Mitgliederversammlung. «One in, one out», fordert deshalb Grossrat André Roggli (die Mitte) und will im Kanton Bern erreichen, dass für jedes neue Gesetz ein altes verschwinden muss. Zumindest ein Lösungsansatz, denn das «Unternehmensentlastungsgesetz» des Bundes hat seine Wirkung noch überhaupt nicht entfalten können. Und die Verwaltungen können noch etwas, was die KMU nie und nimmer hinbekommen. Sie wachsen proportional schneller als die Bevölkerung, für die sie zuständig sind: Bern belegt da einen Spitzenplatz in der Rangliste des Bürokratiemonitors. Das sorgt für weitere Probleme. Verwaltungen werden zu Konkurrenten mit ungleich langen Spiessen auf dem Arbeitsmarkt. Ihr Vorteil: Sie schöpfen die Lohngelder aus dem grossen Topf der Steuergelder, sie müssen ihre Ausgaben also nicht selbst erwirtschaften, sondern können sich bedienen. Das Resultat sind höhere Löhne, als es sich die KMU leisten könnten.

Das Problem mit den 

Halbstaatlichen

Um die KMU-Landschaft noch mehr zu belasten oder gar vielerorts einem KMU den Todesstoss zu versetzen, dafür gibt es die halbstaatlichen Unternehmen. Sie haben vielerorts Wettbewerbsvorteile, die ihresgleichen suchen. Sie können die Preise bestimmen, erhalten ab und an einen Rüffel dafür und arbeiten dann unverändert weiter. Die Post erhöht die Preise und senkt die Dienstleistungen, Zeitungen, Buchhändler und versandaffine Firmen gehen in die Knie. Die GVB verschafft sich mit Tiefpreis-prämien Vorteile im Markt
– wenn der Jahresabschluss negativ ist, werden sie ja durch die Steuergelder gerettet. Die BKW sichern sich alle Aufträge der Elektrofirmen oder streiten sich mit den Vermessungsfirmen um Millionenaufträge. Post oder BKW übernehmen fleissig KMU. Natürlich alles unter dem Deckmantel, dass man hier Firmen gerettet habe. In Tat und Wahrheit hat man Mitbewerber aus dem Weg geräumt, damit man zum Marktführer wird, der beliebig mit den Preisen spielen kann. Die Wettbewerbskommission winkt – gefühlt – alles durch. Oder können Sie sich erinnern, wann sie zum letzten Mal eingeschritten ist?

Das Problem mit den 

Konsumenten

Eine Auslegeordnung, die klar macht: Für KMU ist es in den letzten Jahren deutlich schwieriger geworden. Mehr denn je wären sie auf die Konsumentinnen und Konsumenten angewiesen. Würden diese konsequent regional handeln, einkaufen oder bauen, die KMU würden wie eine felsige Gebirgskette den garstigen Bedingungen trotzen. Aber die Generationen, die im Moment am Drücker sind, sind eine heterogene Gruppe. Es gibt die «Fast-Food-Fans», die ein Restaurant wie der Teufel das Weihwasser meiden und nur noch Essen nach Hause bestellen. Parallel stapeln sich die Päckchen von Temu im Gang turmhoch. Dann gibt es die «Geiz-ist-geil-Gruppe», die, ohne mit der Wimper zu zucken, fraglos kauft, was billig ist. Die «Digitale Delegation» findet in der Bildschirmwelt ihr Seelenheil, für den Beruf, die Freizeit, die sozialen Kontakte, für alles. Ein Restaurant aus Köniz gab unlängst bekannt, dass sich nach der Corona-Pandemie nicht nur die Anzahl Besuche reduziert habe, sondern dass die Menschen auch nur noch möglichst schnell essen und wieder gehen wollen. Das Verweilen und Geniessen bleibt auf der Strecke, um 22 Uhr ist das Restaurant leer. Und es gibt die ganz vielen Menschen, die keine Extreme dieser Art leben, aber ein wenig von allem sein können. Situativ. Sie können die Gralshüter der KMU-Kultur sein, ihr Bewusstsein ist gefragt. Fast jede und jeder von uns handelt in irgendeiner Art regional. Dort, wo man die Wichtigkeit erkennt. Nur ist die Dringlichkeit solchen Handelns vermutlich viel grös-ser, als man denkt. Viel wichtiger kommt noch hinzu: KMU sind Ausbildner, Trendsetter, Vereinsunterstützer und sozial wichtig für jede Gemeinde, weil sie weit mehr als nur ein Arbeitgeber sind.

Das Problem mit der 

digitalen Transformation

Keine Frage, technischer Fortschritt war, ist und wird immer essenziell für die Wirtschaft sein. Die Digitalisierung ist Fluch und Segen zugleich. Sie erleichtert die Arbeit, macht sie effizienter und verbessert Dienstleistungen – oder genau umgekehrt. Erhielten die Menschen früher noch alle Informationen zu Bauvorhaben und Sanierungen in den Briefkasten geliefert, müssen sie heute wissen, wo sie wie auf welcher Webseite danach suchen. Aus einer Bringschuld ist eine Holschuld geworden. Grossfirmen verkünden mit grossen Lettern die «digitale Transformation». Oft wie eine Mogelpackung, denn dahinter versteckt sich ein Leistungsabbau, wie das jüngste Beispiel bei den Tamedia-Titeln zeigt. Eigentlich müsste man sagen, vielerorts auch ein sozialer Abbau. Bei ersten Banken spricht man mit einem Computer vor Ort und kommt gar nicht mehr an einen Menschen heran. Wer noch so altmodisch ist und telefoniert, der merkt, dass immer mehr der grossen Firmen ihre Telefonnummern gar nicht mehr auf die Webseiten schreiben. Man will nur noch über digitale Chats oder Formulare kommunizieren. Um Himmels Willen, sonst müsste man ja noch mit echten Menschen reden. KMU können genau das nutzen und anders sein. Die Regionalbank, die noch ihren Schalter hat, der Dienstleister, der noch eine echte Person am Telefon sitzen hat und ein Auftritt, bei dem eine Firma nicht nur den digitalen Werbeformen hinterherhechelt und fleissig Geld in die USA überweist, um dann ernüchtert festzustellen, dass viele Klicks keineswegs viele Kunden bedeuten.

Das Problem mit der 

wirtschaftsfeindlichen Politik

Trotz vieler Bedrohungen und ungleich langen Spiessen im Vergleich zu den Halbstaatlichen, Verwaltungen oder Grossisten: KMU gewinnen sogar an Bedeutung. Wirtschaftlich sichern sie eine Mehrheit der Arbeitsplätze, sozial halten sie ganze Dörfer zusammen und stützen die Gesellschaft sowie das Vereinsleben. Nach wie vor. Es wäre schön, wenn die Politik verstünde, dass Arbeitgeber keine homogene Truppe von Ausbeutern und Profitmachern darstellen. Viele ringen ums Überleben einer generationenalten Wirkungsstätte. Arbeiten bis zum Umfallen, um Jobs zu sichern und Angebote zu erhalten, das ist für viele KMU der Normalfall. Der mittlere Lohn einer Verwaltungsangestellten übertrifft in aller Regel jenen eines Arbeitgebers in einem KMU. Wenn dieser dann kritisiert wird und von ihm gefordert wird, er müsse noch mehr Abgaben leisten, wächst das Ungerechtigkeitsempfinden. KMU sind für die Schweizer Wirtschaft das wichtigste Gut. Mit Verlaub, wichtiger als eine Grossbank.

Die Schweiz als Aushängeschild von Erfolg und Geld. Florierende Wirtschaft, tiefe Arbeitslosenzahlen. Ja, man zeigt gerne mit dem Finger auf die anderen Länder, die weniger gut dastehen. Die Schweizer Wirtschaft erklimmt viele Gipfel. Doch in deren Schatten lauern zusehends mehr Gefahren für die KMU. Solche, die einen Bergsturz verursachen könnten, nachdem kein Stein mehr auf dem anderen steht. Es wird Zeit, die KMU zu schätzen und ihnen den nötigen Respekt zu zollen – sie sind die Gipfel der Wirtschaft und müssen dringend aus dem Schatten genommen werden.

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