Berührungsängste abbauen – dank Imam Abdul Wahab Tayyab

Er kommt als Fremder und geht als Freund

Sacha Jacqueroud
Von Sacha Jacqueroud - Chefredaktor
Imam Abdul Wahab Tayyab.

Foto: zvg

Einfach erklärt

Imam Abdul Wahab Tayyab erklärt, wie friedfertig sein Verständnis vom Islam ist und wie viele Gemeinsamkeiten der Glaube seiner Gemeinde mit dem anderer Religionen hat.

Die ältesten Kriege dieser Welt haben einen religiösen Ursprung. Das gilt in besonderem Masse für die Konflikte im Nahen Osten. Politik und Diplomatie versagen nur allzu oft, Frust schürt Hass und Vergeltung verstärkt die Konflikte bis hin zu Gräueltaten. Es braucht Menschen wie Imam Abdul Wahab Tayyab, die genau das Gegenteil machen: Sie empfangen mit offenen Armen. «Liebe für alle, Hass für keinen», so sagt die relativ kleine muslimische Ahmadiyya-Gemeinde, der er angehört.

Wenn er den Raum betritt, ist es so, als ob ein wärmender Sonnenstrahl die Stimmung verändert. Sein Lächeln steckt an. Nur wenigen Fremden ist es vorbehalten, in nur einem Augenblick so viel Sympathie zu erzeugen. Im Westen von Bern zuhause betreut Imam Abdul Wahab Tayyab seine muslimische Gemeinde in ganz Bern und Solothurn. «Wir versuchen die Distanz zu verkleinern», sagt der 35-Jährige. Das Wörtchen «wir» soll das folgende Gespräch prägen. Tayyab stellt sich selbst in den Hintergrund, die Botschaft seiner Glaubensgemeinschaft dafür in den Vordergrund. Und mit ihr Taten, die für sich sprechen. Gemeinsame, interreligiöse Gebete und viele Aktionen wie Blutspenden, Aufräumen von Strassen und Pflanzen von Bäumen. «Wir sollen uns auch für den Staat einsetzen, in dem wir leben dürfen», begründet er all die Aktionen und nimmt auf den Koran Bezug.

Wenn Friede im Vordergrund steht

Der Imam erstaunt. Wenn er aus dem Koran zitiert, findet er Worte der Liebe, der Gemeinsamkeit und des sozialen Miteinanders. «Es gibt Personen, die im Namen der Religion falsch handeln, welche sie missbrauchen. Wir versuchen, das Bild richtigzustellen», sagt Tayyab. Und die Beispiele plätschern wie Wasser ins Gespräch ein. «Wir glauben, dass der Islam eine friedliche Religion ist. Zentral ist das Wort Salam, was Friede bedeutet. Ein Muslime verbreitet Friede, wenn er zur Begrüssung Salam sagt. Statt Hallo also in etwa Friede sei mit dir. Viele Begriffe werden missverstanden, stellt er fest. «Dschihad hat nichts mit dem Kampf nach aussen gegenüber anderen zu tun, sondern ist nach innen gerichtet. Es geht darum sich selbst zu reformieren, um ein guter Mensch zu werden.» Genauso wie «Allahu Akbar» kein Schlachtruf sein sollte, sondern ganz einfach «Gott ist der Grösste» bedeutet.

Wenn Gemeinsamkeiten überwiegen

Und wer jetzt Parallelen zum christlichen Glauben findet, der täuscht sich keinesfalls. Der Islam, das Christentum und das Judentum entspringen nicht nur derselben Region, sondern auch denselben Schriften. «Als Muslime sind wir verpflichtet, an alle Propheten, die jemals erschienen sind, zu glauben. Für mich ist das eine Lehre der Toleranz, denn viele Streite beginnen mit dem, das alles andere falsch ist. Der Islam aber bestätigt ja alle und besagt, dass sie von dem einen einzigen Gott abstammen.» Wie konnte es demnach so grausame Kriege geben? Seit Jahrhunderten, von den Kreuzrittern im Mittelalter bis zu den neusten kämpferischen Auseinandersetzungen zwischen Israel und der Hisbollah? «Oft wird übersehen, dass Religion an sich nicht zu Gewalt aufruft. Es gibt jedoch Personen, die im Namen der Religion falsch handeln und sie für ihre eigenen Zwecke missbrauchen. Wir versuchen nach Kräften, dieses Bild richtigzustellen.» Imam Tayyab geht den Weg der Gemeinsamkeiten. Er zeigt auf, dass das, was uns alle verbindet, viel grösser ist, als das, was uns trennt. Und findet auch hier den Passus im Koran: «Für uns ist Gewalt immer ein Zeichen, dass man sich von Gott entfernt. Religion hat zwei Aufgaben, sie lässt den Menschen seinem Schöpfer begegnen und lehrt die Pflichten gegenüber den Mitmenschen. Wenn man Gott liebt, muss man seine Schöpfung automatisch lieben, anders geht es ja gar nicht.»

Wenn Begegnungen Vorurteile überwinden

Seine Worte klingen wie ein Kontrast zu all dem, was die Medien aus den verschiedenen Konfliktherden dieser Welt zu berichten wissen. Vielleicht tragen diese eine Mitverantwortung, wenn sie dem Krieg so viel Platz einräumen und dem friedlichen Miteinander einer Mehrheit der Menschen kaum eine Zeile würdigen. Rund 5 % der bernischen Bevölkerung gehören einer islamischen Glaubensgemeinschaft an. Ein ansehnlicher Teil dieser rund 42000 Menschen lebt im Stadtteil VI. Eine genaue Zahl gibt es bei der Stadt Bern nicht, weil diese nur die sogenannten «Staatsreligionen» erfasst. Bei der Arbeit, im Verein, in der Kultur, Christen, Atheisten, Muslime und viele andere begegnen sich im Alltag und haben sich schätzen gelernt. Oder wie Tayyab sagt: «Gott ist barmherzig und so muss der Mensch sein.» Imam Abdul Wahab Tayyab kommt als Fremder und geht als Freund. «Shkran» (Danke) für diesen Einblick.

Zur Person:
Der 35-jährige Abdul Wahab Tayyab ist in St. Gallen aufgewachsen. In England liess er sich zum Imam ausbilden. Seine Familie stammt aus Pakistan. Dort ist auch die Ahmadiyya Muslim Jamaat beheimatet, die es seit 1889 gibt und die weltweit mehr als zehn Millionen Anhänger hat. In der Schweiz ist die Gemeinde seit 1946 aktiv und hat mehrere regionale Zweigstellen. Abdul Wahab Tayyab ist Imam der Ahmadiyya-Gemeinde in der Region Bern und Solothurn.

GEKENNZEICHNET:
Teile diesen Artikel

Neue Beiträge

Back to the Future

Wer bei der Buchbinderei Gschwend AG an der Freiburgstrasse 251 eintritt, befindet sich in zwei Welten, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Auf der rechten Seite findet und hört man die…

Von Thomas Bornhauser 3 Min. zum Lesen

Wenn aus Hochhäusern Wolkenkratzer werden

Zwischen dem Freibad Weyermannshaus und dem Europaplatz ist das Schlüsselareal im Entwicklungsschwerpunkt…

Von Sacha Jacqueroud 1 Min. zum Lesen

Dunkle Schatten über der Dorfstrasse

Fast möchte man meinen, ein Hinterkappeler wäre unlängst Schwingerkönig geworden. Viele Transparente…

Von Sacha Jacqueroud 1 Min. zum Lesen

«Hätte ich helfen können?» – Hilfe für Hinterbliebene

Partnerinnen, Freunde, Kinder, Eltern, Lokführer oder Mitarbeitende von Blaulichtorganisationen: Ein Suizid betrifft…

Von Salome Guida 1 Min. zum Lesen

Wie der wirtschaftliche Westen gezähmt wird

Die Stadt Bern ist auf den Stadtteil VI angewiesen, um ihre Wohnungsprobleme…

Von Sacha Jacqueroud 6 Min. zum Lesen