«Ich lege meinen Job sofort nieder, wenn sich herausstellen sollte, dass es sich hier um Suizid handelt. Das stinkt doch zum Himmel, da will uns jemand auf eine falsche Fährte locken, aber doch nicht mit Kneubühl!» Das Team konnte seine Meinung durchaus nachvollziehen, denn eine Selbsttötung passte wie die Faust aufs Auge.
Auf Spurensuche
Der Mann hielt nämlich noch eine Pistole in der rechten Hand, immerhin ein Indiz dafür, dass er wohl hier zwischen zwei Booten in einen Unterstand gelegt wurde. Bei der Handfeuerwaffe handelte es sich um eine halbautomatische Pistole mit 9mm Kaliber. «Allein schon der Rückstoss hätte sie ihm aus der Hand schlagen lassen», pflichtete Urs Rütimann vom Kriminaltechnischen Dienst bei. Die Äusserungen von Esther Hasler liessen definitiv keinen Interpretationsspielraum mehr: Der Schuss in die rechte Schläfe sei «post mortem» erfolgt, gestorben sei er an einer Cyanid-Vergiftung. Ausser einer vermutlich übersehenen Quittung des Restaurant Kleefelds in der linken Brusttasche seines Hemds gab es keinerlei Hinweise darauf, wer der ungefähr 50-jährige Tote war. DNA und Fingerabdrücke negativ, in keiner Datenbank gespeichert. «Wollen wir mit einer Medienmitteilung raus?», erkundigte sich Ermittlerin Regula Bürki. «Womöglich mit einer Foto der Wasserleiche?», frotzelte der KTD-Spezialist. «Sicher niiid!», bekam er umgehend zu hören. Was lag also näher, als im Restaurant Kleefeld vorbeizugehen?
Der KTD auf Draht
«Chef, du willst aber die Foto des Toten nicht Salihi zeigen, nicht wahr?» – «Du kennst Salihi?» – Nicht nur, auch seinen Sohn und Koch Gerardo aus Italien. Ich bin öfter dort, gute Adresse», die entwaffnende Antwort. Wenige Minuten später fuhr das Duo Kneubühl/Bürki ins Parkhaus des
Zentrums ein. «Erinnere mich daran, dass ich bei Denner noch etwas posten muss.» – «Fige, mache ich.»
Es war denn auch Regula Bürki, die alle Akteure einander vorstellte. «Womit können wir dienen?» – «Herr Salihi, ich habe hier eine Quittung, die zwar schon einige Tage alt ist, aber vielleicht können Sie sich anhand der verrechneten Speisen erinnern, wer die vermutlich vier Leute waren.» Der Gastronom nahm den Zettel entgegen, schaute Kneubühl jedoch hilfesuchend an. «Der ist praktisch unleserlich.» – «Stimmt, er lag eine Zeit lang im Wasser, unsere Kriminaltechniker konnten die Schrift jedoch wiederherstellen.» Mit diesem Wort bekam Salihi eine Vergrös-serung auf A3, studierte einige Augenblicke.
«Ich glaube, mich erinnern zu können. Ja, es waren vier Herren. Zum Schluss haben sie mehrere Absacker in der Bar genommen, bezahlt hat aber ein anderer, deshalb steht hier nichts auf dem Zettel.» – «Herr Salihi, haben Sie mitbekommen, worüber die Herren sprachen?» – Beim Essen nicht, nein, aber vielleicht kann Ihnen mein Sohn weiterhelfen, er war zeitweise in der Bar.»
Salihi jun. wurde kurz aufdatiert, weil zuvor anderweitig beschäftigt. Ja, er erinnere sich an die vier Herren, einen davon kenne er «vom Sehen», um sich jedoch sofort zu korrigieren, «aus der Zeitung». Dieser sei in unregelmässigen Abständen auf den People-Seiten der Wochenzeitung «Berner Bär» zu sehen. «Die Zeitung, die angeblich niemand liest und sofort zum Altpapier legt…», schmunzelte Kneubühl. «Nicht wir, wir legen die drei Exemplare für unsere Kundschaft auf, wie alle Gratisblätter, wenn sie jemand bei uns liegen lässt.» Die nächste halbe Stunde beschäftigten sich Kneubühl, Bürki und die beiden Salihis am PC mit dem Surfen durch die Ausgaben der letzten «Berner Bär»-Monate. «Da! Das ist er!», schrie Salihi jun. durch den Raum. Kneubühl gab sich wesentlich gelassener. «Markus Hofstetter. Winkeladvokat.»
Aufklärung
Unschwer zu erraten, wer noch am gleichen Tag – ohne Voranmeldung – an einer Türe der Gerechtigkeitsgasse läutete. Hofstetter bestritt anfänglich, auch nur irgendetwas zum ihm «völlig unbekannten Toten» zu wissen. Erst eine Gegenüberstellung auf dem Polizeikommando schaffte Klarheit und gab dem Toten eine Identität: Der offenbar (?) unbescholtene Erwin Kesselring aus Wien, der die drei Schweizer wegen illegalem Waffenhandel auffliegen lassen wollte. «Woher hatten Sie das Cyanid?» – «Einer ist Apotheker, er hat es nach einem grösseren Disput in der Nacht geholt und bei Kesselring ins Cola geleert. Zur Tarnung haben wir einen Selbstmord vorgetäuscht und Kesselring zum Wohlensee gefahren.»
«Merke, Zyan-Cola zeigt Nebenwirkungen», stellte Kneubühl abschliessend zu Regula Bürki fest.