Zufällig getroffen

Eine Lebensgeschichte für «Das Fenster zum Sonntag»

Thomas Bornhauser
Urs Ryser hat in seinem Leben viele schwierige Moment mitgemacht.

Foto: BO

Einfach erklärt
Urs Ryser aus Bümpliz erzählt aus seinem Leben. Er war starker Kiffer und hat auch schwierige Seiten des Lebens kennengelernt. Seit langem ist er aber clean und würde sich über eine Partnerschaft freuen.
Ich weiss schon, weshalb ich meinen Job als freier Mitarbeiter der BümplizWochen so sehr liebe: Ich habe das Privileg, mit Menschen zu sprechen, die mir im gewöhnlichen Alltag sonst nie über den sprichwörtlichen Weg laufen würden. So auch heute. Ich habe Urs Ryser im Coop-Restaurant Bümpliz angesprochen, obwohl mir völlig unbekannt.

Urs Ryser, wo sind Sie aufgewachsen?

Im Tscharni, bin auch da zur Schule. Gelernt habe ich 1975 Detailhandelsangestellter, ich war acht Jahre bei der Migros Bethlehem, anschliessend bei der EPA und bei Coop. Aber das alles ist eine eigene Lebensgeschichte. Ich weiss nicht, ob das jemanden interessiert…

Mich schon. Ich bin gespannt.

Ich war fast Zeit meines Lebens ein Kiffer, ein starker Kiffer. Das mag sich harmlos anhören, ist es aber nicht. Ich habe in der Winter-RS damit angefangen, wie die meisten Kameraden bei den «Gebirgsfüsle», zu denen ich immer wollte, auch ihre Joints geraucht haben. Alkohol war nicht mein Ding, also habe ich gekifft. Und damit begannen die Probleme, die sich wie ein roter Faden durch mein Leben ziehen. Und damit wir uns hier gleich zu Beginn richtig verstehen: Ich allein war dafür verantwortlich, niemand anderes, viele Begleiterscheinungen hingegen waren schmerzhaft.

Hut ab, dass Sie das so offen erzählen.

(Schmunzelt) Sie haben doch damit angefangen und mich aufgefordert, mein Leben zu erzählen… Das Kiffen ging im Privat- und Berufsleben nahtlos weiter, von morgens früh bis abends spät. Erstaunlich, dass meine Arbeit offenbar nicht gross darunter gelitten hat, ich habe mir natürlich immer Mühe gegeben, das Beste zu leisten. Aber auch hier: In den Pausen haben wir draussen gekifft. Einen ersten grossen Einschnitt gab es, als ich mit Hanf an der holländisch-deutschen Grenze erwischt wurde, die Deutschen kannten kein Pardon, ich sass zwei Monate in Haft, meinen tollen Job als Leiter Food mit nur 22 Jahren war ich danach los.

Wie haben Sie den Ausstieg geschafft?

Moment, Moment… eins nach dem anderen. 1989 habe ich geheiratet, ein Jahr später kam unser Sohn, 1992 unsere Tochter zur Welt. Ich habe in dieser Zeit immer gearbeitet, wenn auch nur zu 50 %, weil ich unsere Kinder aufwachsen sehen wollte. 13 Jahre war ich als Materialverwalter im Spital Sonnenhof tätig. Mir wurde dort 2003 ungerechtfertigter Weise gekündigt – ich litt an einer Diskushernie –, worauf ich immerhin die Taggeldversicherung während zweier Jahre zugesprochen erhielt. Überhaupt war diese Zeit schlimm. Bandscheibenvorfall, Job weg, Scheidung. Zum Glück hatte ich schon seit mehreren Jahren Kontakt zu einem Psychiater, der mir wirklich geholfen hat.

Wie ging es weiter?

Wichtig: Ich wollte immer arbeiten, aber mit meiner Lebensgeschichte war es nicht möglich, eine Stelle zu finden, auch die mögliche Vermittlung durchs RAV brachte keinen Erfolg, zwei Jahre war ich ein Sozialfall und musste lernen, wie es ist, wenn man kein soziales Fangnetz hat. Es war eine sehr schwierige Zeit. 2008 fand ich dann zum Glück eine Stelle im Spital Lindenhof, wo ich 7 Jahre blieb, im Radiologie-Archiv, bis dieses 2015 aufgelöst wurde. Es folgten Jahre, wie ich sie zuvor bereits durchlitten hatte. 

Haben Sie diese Zeit weiter zugekifft?

Nein! Seit 22 Jahren bin ich clean. Aber der Kiffer hat in seinem Leben nicht viele Chancen erhalten, um sich zu beweisen, ungeachtet der Tatsache, dass ich bei der Arbeit nie «blau» gemacht habe und immer arbeiten wollte. Im Gegenteil: In vielen Teilen der Gesellschaft und der Berufswelt war ich zum Teil als ehemaliger Kiffer und Häftling ein lästiger «Abwäschlumpe», mit dem man nichts zu tun haben wollte.

Nebst diesem Psychiater – was hat Ihnen geholfen, aus dem Tief zu finden?

Mein Glaube – der Glaube an Gott, das hat mich gestärkt und mir geholfen. Und der Kirchenchor, in welchem ich aktiv mitsinge.

Das tönt beinahe wie ein Beitrag aus dem «Fenster zum Sonntag».

Sie werden lachen, das habe ich mir auch schon gedacht, weil ich diese Sendung gerne mitverfolge. 

Ich ziehe den Hut vor Ihnen –  und wohl viele Leserinnen und Leser auch –, dass Sie so offen aus Ihrem Leben erzählen. Respekt. Sagen Sie, mit 66, woran können Sie sich heute erfreuen?

Ich bin gerne draussen in der Natur, wandere, suche nach Pilzen, schwimme, koche. Ich realisiere Bilder aus Kork und farbigem Sand mit Weinmotiven. Überhaupt habe ich Sport immer geliebt, in einem Marathon in Lausanne bin ich bei über 1000 Teilnehmenden 125. geworden. Ach ja, und eine Partnerin würde mir sicher auch guttun. Trotz meiner Lebensgeschichte. Und noch etwas: Wir haben in der Schweiz ein riesiges Glück, ein funktionierendes Sozial- und Gesundheitssystem zu haben.

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