Dieser Mann muss Nerven aus Drahtseil haben. Die Medien, insbesondere die sozialen Medien, gehen seit Langem nicht zimperlich mit ihm um. «Es ärgert mich, wenn alle nach mehr Wohnungen schreien und das als Kritik gegen die momentane Regierung nutzen; dabei haben wir noch nie so viele Wohnungen gebaut wie im letzten Jahr. Und ich staune, dass man all die Dinge, die gut gelaufen sind, nicht zur Kenntnis nimmt», meint Alec von Graffenried.
Die Zufriedenheit ist hoch
Tatsächlich haben sich die Kandidatinnen und Kandidaten für den Gemeinderat in den verschiedenen Podien der vergangenen Wochen stets dahingehend geäussert, dass das allermeiste sehr gut laufe. «Wir haben viele jahrzehntealte Projekte aufgleisen können. Man denke nur an die Schwimmhalle, den Hochwasserschutz oder den Bärenplatz», nennt der Stapi gleich ein paar Beispiele. Ein anderes mag die einfache Tatsache sein, dass die Stadt wächst. «Wir haben in allen Quartieren die Dienstleistungen in nützlicher Nähe und die sozialen Angebote sind gut ausgebaut», gibt er zu bedenken. Und eine Umfrage, die kürzlich bei der Bevölkerung gemacht wurde, zeugt von stolzen 95 % Zufriedenheit. Ein schweizweiter Spitzenwert. «Wenn also moniert wird, ich bringe nichts auf die Reihe, dann stimmt das einfach nicht», findet er klare Worte.
Der Stapi als Sündenbock?
Es mag eine Binsenwahrheit sein, aber als Stadtpräsident steht man permanent im Scheinwerferlicht. «Ich muss zugeben, dass ich das Mass des Exponiert-Seins etwas unterschätzt habe. Ich werde für alles verantwortlich gemacht, ob das nun richtig oder falsch ist. Mir tut das vor allem für die Familie leid. Meine Kinder konnten lange nirgendwohin, ohne dass es hiess, das sind die Kinder des Stapis. Als sie noch kleiner waren, haben sie darunter gelitten», erinnert er sich. Kraft schöpft von Graffenried aus den Begegnungen auf der Strasse: «Oft danken mir die Menschen für meine Arbeit und das freut mich natürlich.» Die Medien gehen da weniger freundlich mit ihm um. Und die digitalen Plattformen gar noch weniger. «Die sozialen Medien sind zu den asozialen Medien geworden», sagt er deutlich enerviert. Im anonymen Raum gewisser Kommentarspalten mancher Zeitungen und in den sozialen Medien wird verunglimpft und verurteilt. Der Stadtpräsident hätte sich etwas mehr Respekt gewünscht, insbesondere von manchen Journalistinnen und Journalisten.
Selbstkritik
Mit Blick auf das nichteingeführte Abfall-Trennsystem, steigende Verschuldung, wenig Aktivitäten für die lokale Wirtschaft, die gescheiterte Fusion mit Ostermundigen oder schlechte IT-Projekte war aber die letzte Legislatur, trotz hoher Zufriedenheit der Bevölkerung, nicht nur im aaregrünen Bereich. Der Stadtpräsident steht der Regierung vor, Kritik muss sich aber der ganze Gemeinderat für diese Punkte gefallen lassen. Und wie sieht die Kritik des Stapi über sich selbst aus? Ja, die gibt es durchaus. «Ich bin manchmal etwas zu flapsig und überfahre die Menschen. Das bekomme ich gelegentlich zu hören.» Es ist, als ginge manchmal das innere Pferd mit ihm durch, denn was er gar nicht mag, sind langweilige Versammlungen oder Reden. «Dann braucht es etwas Pfeffer; doch damit steigere ich das Risiko, dass mal etwas daneben geht.»
Bümpliz blüht
Von Graffenried muss mit Blick auf die starken Herausforderer-innen und Herausforderer um sein Amt fürchten. Wäre er denn bereit, «nur» Gemeinderat zu sein? «Ich wäre natürlich enttäuscht, würde aber motiviert weitermachen. Ideen hätte ich für jede Direktion», meint er. Und welche Rolle spielt der Stadtteil VI in der nächsten Legislatur? «Eine entscheidende», sagt er pfeilschnell. «Mir ist wichtig, dass Bümpliz und Bethlehem noch enger an die Stadt angebunden werden. Projekte wie der Entwicklungsschwerpunkt Aus-serholligen gehen genau in diese Richtung. Und was den Bedarf an Wohnungen angeht, laufen viele Projekte im Westen von Bern. Das Zentrum von Bethlehem wird entwickelt, das Tscharnergut wird erneuert, im Westen wird viel passieren», sagt von Graffenried frohgestimmt.
So schwer manche Momente für Alec von Graffenried sein mögen, wenn es um den Stadtteil VI geht, wird er zum Optimisten. Wie vor einem Jahr, als er sich in dieser Zeitung dazu äusserte. Wer den Stapi wiederwählt, weiss, was er bekommt und was nicht. Stellvertretend ist der humorvolle Spruch von ihm, als er auf die Frage hin, ob Bern nicht besser eine Stadtpräsidentin hätte, meinte: «Ich kann nicht auch noch eine Frau sein.»