Kurzkrimi

Wenn nur eine Indizienkette vorliegt

Thomas Bornhauser
Auf dieser Parkfläche gegenüber dem Schloss stand der BMW X7.

Foto: BO

Einfach erklärt
Auch diese Handlung des Krimis ist frei erfunden. Es geht um einen Vermissten, nach dem vergeblich gesucht wird. Vermutet wird ein Verbrechen, das in Bümpliz begann.
Auch das gibt es: den Mord ohne Leiche. Was natürlich die Ermittlungen nicht unbedingt vereinfacht. Und schon gar nicht eine spätere Anklage, wenn einzig eine Indizienkette die Schuld eines Angeklagten beweisen soll. Vor einer solcher Aufgabe stand das Team Kneubühl aus dem Dezernat Leib und Leben der Kantonspolizei Bern zu Beginn seiner Ermittlungen.

«Eigentlich scheint der Fall klar», stellte Viktor Kneubühl nüchtern fest. «Wir haben eine Vermisstenanzeige vorliegen und Blutspuren des Vermissten, die darauf hindeuten, dass er ein Auto bestiegen hat oder gestossen wurde. Ob freiwillig oder nicht, ob lebendig oder tot, das müssen wir offenlassen.» In der Tat: Es gab auffällige Blutspuren am Boden, die zu einem Parkfeld gegenüber dem Schloss Bümpliz führten. Ebenso liess sich festhalten, dass ein Fahrzeug mit durchdrehenden Rädern den Platz verlassen hatte. Davon zeugten nicht bloss schwarze Spuren, dazu passten auch die übereinstimmenden Aussagen von zwei Zeugen, die unabhängig voneinander «gegen zwei Uhr aus dem Schlaf gerissen» wurden. Keiner hatte das Fahrzeug jedoch gesehen.

Geisterfahrer?

Viktor Kneubühl hielt sich acht Stunden später mit seiner Mitarbeiterin Regula Bürki in einem Sitzungszimmer des nahe gelegenen Polizeipostens Bümpliz auf. Ebenfalls anwesend: Urs Rütimann vom Kriminaltechnischen Dienst KTD der Kapo Bern. Wenige Augenblicke, nachdem eine erste Auslegeordnung zu diesem mysteriösen Fall gemacht wurde, erhielt das Trio einen ersten Hinweis auf ein mögliches Fahrzeug. Mit überhöhter Geschwindigkeit wurde um 02:07 Uhr ein BMW X7 noch auf Stadtberner Gebiet geblitzt. Diese Information kam deshalb derart schnell, weil Kneubühl die verantwortlichen Kollegen gebeten hatte, sofort nachzuschauen, ob in den Minuten nach zwei Uhr ein Fahrzeug geblitzt worden wäre. Diese konnten einzig mit dem BMW dienen. «Die Reifenspuren auf der Parkfläche passen zum X7», ergänzte Rütimann. «Wer ist der Halter des Fahrzeugs?», wollte Regula Bürki vom Chef wissen. «Der Vermisste selber, mit Zuger Kennzeichen», worauf man sich schweigend ansah, ratlos.

Fingerabdrücke im Innern

In den folgenden Tagen reihte sich Ungereimtheit an Ungereimtheit, mit jeder Erkenntnis wuchs die Verwirrung um die neue Causa. Einige Beispiele: Beim Vermissten handelte es sich um einen extrem reichen deutschen Industriellen, in Zug gemeldet. Verheiratet mit einer 30 Jahre jüngeren Frau, Ehe gemäss Klatschpresse im Argen. Der BMW X7 wurde zwei Tage später in einem Wald bei Kloten aufgefunden, ausgebrannt. Dennoch gelang es den Spezialisten der Kantonspolizei Zürich, Spuren zu sichern. Blut des Vermissten im Kofferraum, Fingerabdrücke einer Zweitperson im Wageninnern. Und diese Prints hatten es in sich, gehörten sie doch einem Zeitgenossen, der ein ansehnliches Dossier bei der Polizei aufzuweisen hatte. Der Mann verweigerte in Untersuchungshaft im Regionalgefängnis Bern jede Aussage.

Die Frage nach dem Motiv

Eine Zeit lang schien unklar, welche Staatsanwaltschaft die Klage zu führen hatte. Bern, Zug, Zürich? Weil die hiesigen Ermittler in der Sache führend und der vermutete Täter in Bern wohnhaft, erging der Auftrag an den Berner Generalstaatsanwalt. In der Indizienkette sprach alles gegen den vermuteten Täter, der im Übrigen bei seiner Version blieb, zur vermuteten Tatzeit geschlafen zu haben, allerdings ohne Zeugen. Ein schwaches Alibi also. Was hingegen dem Ankläger zu schaffen machte: die fehlende Leiche. Skurril auch der Umstand, dass Kleider des Vermissten aus dem Bodensee gefischt wurden, was vermuten liess, dass der Inhaftierte ihn im See versenkt hatte, obwohl Tauchgänge erfolglos verliefen. Überhaupt stellte sich die Frage nach dem Motiv? Unklar.

Leben ohne Straftaten

In dubio pro reo, im Zweifel für den Angeklagten. Das galt auch in diesem Fall. Vor allem der fehlenden Leiche wegen erlitt der Generalstaatsanwalt Schiffbruch, obwohl die Indizienkette gegen den Angeklagten sprach. Trotzdem. Was zu jenem Zeitpunkt niemand wissen konnte: Der Vermisste selber hatte mit dem Angeklagten gemeinsame Sache gemacht, um spurlos verschwinden und im Ausland eine neue Identität annehmen zu können. Das erforderliche Kapital hatte er sich in einer lange zuvor geplanten Aktion ins Ausland geschafft, seine junge Frau würde mehr oder weniger leer ausgehen. Dafür erhielt der vermutete Täter für seine einjährige U-Haft vom Industriellen eine nette Summe, die ihm ermöglichte, ein Leben ohne Straftaten zu führen.

Thomas Bornhauser

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