Miro Eskender wohnt in Köniz, arbeitet von Bümpliz aus

«Was wird mit uns Kurden passieren?»

Thomas Bornhauser
Kina, Awen und Miro Eskender. Es fehlt Klein-Iwan (2).

Foto: BO

Einfach erklärt
Diesmal geht es im «Zufällig getroffen» um eine kurdische Familie aus Syrien. Sie ist dankbar dass es in der Schweiz friedlich ist. An einige Dinge musste sie sich aber erst gewöhnen, etwa an die vielen Regeln.
In dieser Serie «Zufällig getroffen» haben wir Bekanntschaft mit Miro Eskender und seiner Familie gemacht. Sie wohnen in Köniz, sein Geschäft als Bodenleger betreibt er jedoch von Bümpliz aus. Für ein­mal kommt deshalb dieser Bericht sowohl in der Könizer Zei­tung als auch in der Bümpliz­Wochen.

Miro Eskender, wo sind Sie geboren, wo aufgewachsen?

In der Nähe von Al-Malikiya in Syrien, wo ich auch zur Schule ging. Aus den bekannten Gründen bin ich 2009 allein aus Syrien geflüchtet. Mein Weg führte mich über die Türkei, Griechenland und Italien in die Schweiz, wo ich dann in Basel in ein Erstaufnahmezentrum kam. In Köniz wohnen wir seit… (Überlegt, der siebenjährige Awen hilft spontan aus) 2017. Ach ja, das ist unser ältester Sohn, der zweijährige Iwan ist im Moment in der Kita. Meine Frau Kina, 2014 ebenfalls aus Syrien geflüchtet, habe ich in der Schweiz kennengelernt und hier haben wir auch geheiratet. Aber eigentlich sind wir keine wirklichen Syrer.

Sondern?

Kina und ich sind zwar in Syrien geboren, sind jedoch Kurden. Sie wissen vielleicht, dass die Kurden eine schwierige Geschichte haben und auch heute noch eigentlich nur geduldet werden, wo auch immer. Rechte haben wir praktisch keine. Kina und ich besitzen zwar syrische Pässe, aber darin steht, wo wir geboren wurden, nämlich in einem Kurdengebiet, das bringt sofort Nachteile mit sich.

Sie sprechen sehr gut Schriftdeutsch. 

(Awen schaltet sich wieder ein) Und ig o Bärndütsch! (Jetzt spricht wieder sein Vater). Awen geht ja hier in Köniz zur Schule Buchsee, deshalb fügt er sich sprachlich nahtlos in die Klasse ein. Und klar, zuhause sprechen wir kurdisch – nicht syrisch. Aber das war ja nicht Ihre Frage. Ich sprach kein Wort Deutsch, als ich in die Schweiz kam, konnte aber während sechs Monaten Kurse bei der Migros-Klubschule besuchen, danach habe ich mit alles selber im Alltag beigebracht.

Was haben Sie eigentlich gelernt?

Professionell nichts, dazu hatte ich keine Gelegenheit, aber ich habe mich in Syrien schon als Bodenleger nützlich gemacht. Mit diesem Wissen und meiner langen Praxis habe ich mein eigenes kleines Unternehmen gegründet, heute sind wir bei der Berner Bodenleger GmbH an der Freiburgstrasse in Bümpliz vier Personen. Wir haben schon einiges realisieren dürfen, zur Zufriedenheit der Leute, wie uns scheint (schmunzelt).

Haben Sie noch Familie in Syrien?

Selbstverständlich! Und was wir von ihnen hören, deckt sich durchaus mit dem, was in der Schweiz zu hören und zu lesen ist. Zwar ist der Diktator, der Zehntausende von Morde zu verantworten hat, weg, nach Russland, aber zu glauben, dass sich damit alles zum Guten gewendet hat, könnte ein Trugschluss für uns sein.

Inwiefern?

Was wird mit uns Kurden passieren? Werden wir in eine neue syrische Gesellschaft integriert, können uns frei fühlen? Ich weiss es nicht. Es ist aber nicht die einzige Unsicherheit.

Nämlich?

Eine jahrzehntelange Diktatur lässt sich nicht einfach so abstreifen. Was machen zum Beispiel heute die Anhänger von Baschar al Assad, was die Mitverantwortlichen der staatlichen Tötungsindustrie, wo sind sie heute? Ich habe da kein gutes Gefühl. Wissen Sie, der Weg zu einer Demokratie, auch wenn sie sich nicht mit jener der Schweiz wird vergleichen lassen, dauert lange, über Generationen hinaus. Als Beispiel denke ich an die Wiedervereinigung Deutschlands vor über 30 Jahren. Es gibt noch immer viele Leute im Osten, die sich die DDR zurückwünschen oder sich zumindest gegenüber den westlichen Bundesländern benachteiligt fühlen.

Wie haben Sie, wie hat Ihre Familie die Integration in der Schweiz erlebt?

Sehr gut, wirklich (schaut zu seiner Frau, die zustimmend nickt). Wir haben natürlich viele syrische, aber auch viele einheimische Freunde. Das mag damit zu tun haben, dass wir uns wirklich bemüht haben, die Schweizer Verhältnisse zu akzeptieren und zu leben. Obwohl…

Obwohl?

Obwohl man das Schweizer Rechtssystem natürlich nicht mit Syrien vergleichen kann. Hier ist alles geregelt.

Überreguliert?

(Lacht) Das haben jetzt aber Sie gesagt! Ja, einiges ist schon gewöhnungsbedürftig, aber wir gewöhnen uns daran… Immerhin haben wir jetzt mit dem C-Ausweis die Sicherheit, hier bleiben zu dürfen. Der Ausweis C bedeutet ja eine unbefristete Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz. Sie ermöglicht ausländischen Staatsangehörigen ein dauerhaftes Wohnrecht und erfordert einen mindestens zehnjährigen ordnungsgemässen Aufenthalt sowie den Nachweis von Integration und Sprachkenntnissen. Und wir bemühen uns auf die Schweizer Staatsbürgerschaft, aber das wird noch dauern.

Denken Sie daran, nach Syrien zurückzukehren?

Was raten Sie uns?

Weil ich die Zukunft in keiner Art voraussehen kann, steht es mir nicht zu, diese Frage zu beantworten. Nur das: Alles Gute für Ihr Volk.

Danke. Und etwas möchte ich noch sagen: Wir sind dankbar, in dieser friedlichen Schweiz leben zu dürfen.

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