Meret Schindler (SP), Tobias Vögeli (GLP) und Erich Hess (SVP) im grossen Wahlgespräch

Teuerung oder teuer, na und?

Sacha Jacqueroud
Von Sacha Jacqueroud - Chefredaktor
Bümplizer-Power im Bundeshaus? Drei Kandidierende stellen sich einem Streitgespräch.

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Einfach erklärt
Meret Schindler (SP), Tobias Vögeli (GLP) und Erich Hess (SVP) wollen in den Nationalrat. In einem Gespräch haben sie verraten, wofür sie kämpfen und sich einsetzen. Dabei sind die drei ganz unterschiedlich.
Niemand der drei Nationalratskandidierenden will, dass alles teurer wird. Doch die Kandidierenden Meret Schindler (SP) und Tobias Vögeli (GLP) sowie der bisherige Nationalrat Erich Hess (SVP) sehen an einigen Punkten Handlungsbedarf; nur nicht überall denselben. Und das ist nicht das einzige Problem, das die drei Politisierenden aus Bümpliz anpacken wollen.

«Ihr seid schuld, dass es in der Altersvorsorge nicht vorwärts geht; eure Parteien haben Blockadepolitik betrieben, niemand gibt nach, deshalb sind wir in dieser Frage noch nicht weiter.» Tobias Vögeli (GLP) hört den ersten Voten von Meret Schindler (SP) und Erich Hess (SVP) aufmerksam zu, ehe der Frauenkappeler Gemeinderat zu diesem Frontalangriff ansetzt. Er hat nun die ganze Aufmerksamkeit der beiden. Und er nutzt die Gunst der Stunde, um nachzudoppeln: «Die SP hat nur ein Ziel: eine Volksrente und dafür sind sie bereit, alles andere an die Wand zu fahren.» Hess nickt, doch Schindler kontert: «Ist denn das so schlimm, wenn es eine Volksrente gäbe?» Die Sozialdemokraten stehen für Chancengleichheit und wollen die Altersarmut bekämpfen. Die letzte grosse Reform der Schweizer Politik in der Altersvorsorge stammt aus der Feder einer SP-Bundesrätin: Ruth Dreyfuss. Und diese Reform ist gar älter als Tobias Vögeli selbst. «Ja», antwortet Hess nun. Eine Volksrente sei schlimm: «Die Leistung jedes einzelnen sollte etwas zählen. Es gibt schon einen Unterschied ob jemand das ganze Leben lang gearbeitet hat oder in der sozialen Hängematte lag.» Punkt für die SVP aus Sicht der GLP, denn Vögeli pflichtet ihm bei: «Der Staat muss für gleiche Startbedingungen sorgen, aber gute Leistungen in der Arbeit dürfen sich auch lohnen.» 

Wie viel Staat darf es sein?

Die Alterspolitik bewegt sich Richtung Frage: Wieviel Staat darf es denn sein? Für Hess ist das eine einfache Frage: «Der Staat soll sich möglichst raushalten.» Für Schindler geht die Gleichung mit wenig Staat nicht auf: «Es gibt so viele Fälle, die aufzeigen, dass Menschen hart und viel arbeiten und trotzdem geht die Rechnung hinten und vorne nicht auf; das darf in einem reichen Land wie der Schweiz einfach nicht passieren.» Was nun passiert ist wohl ein Bümplizer Sondermoment: Hess nickt der SP zu, meint dann aber: «Da ist die SP nicht ganz unschuldig daran. Staatliche Hilfe auf allen Ebenen verteuert das System und belastet es zusätzlich.» Nun ist es die Sozialdemokratin die zunickt und anerkennt, das daran etwas sei. Weg ist die anfänglich von Vögeli betonierte Blockade der beiden, hier entsteht gerade ein Bümplizer Dialog. Vögeli wagt deshalb den Versuch einer grünliberalen Lösung: «Die Gleichung geht nicht auf, wenn sich der Staat mehr zurückzieht. Aber zu viel Staat ist genauso problematisch. In der Altersvorsorge bin ich aber froh, haben wir Regeln, hier dürfen wir uns nicht verzocken.» Regeln, die wohlgemerkt die Politik machen kann, und hier beginne die Verantwortung, mahnt der Mann, der als amtierender Nationalrat die Innensicht des Bundeshauses am besten kennt.

Wer regelt das Problem mit den Löhnen?  

Teuerung, Altersvorsorge, staatliche Hilfe. Je besser der Lohn, desto kleiner erscheinen diese Pro-bleme. Also nichts wie hin zu fairen Löhnen und Arbeitgebern, welche diese ermöglichen müssen, Frau Schindler? «Firmen haben auch eine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft zu tragen. Ja das ewige Ringen um faire Löhne empfinde ich in gewissen Branchen schon als sehr fragwürdig», beginnt die Sozialdemokratin. «Wenn die Löhne immer steigen, steigt auch die Teuerung, es kommt zu einer Spirale nach oben», mahnt hingegen Vögeli. Doch am anderen Ende der Leiter warten die Dumpinglöhne, Hungerlöhne, diese wiederum sorgen dafür, dass staatliche Hilfe notwendig wird. «Mich regt es auf, wenn jemand 100 % arbeitet, aber nicht davon leben kann», ergänzt Vögeli. Damit spielt er Schindler und der SP in die Karten. Also doch: Löhne moderat anheben und die Firmen sollen aufhören zu murren, Herr Hess? «Ich kenne kein KMU, das nicht weiss, wie wichtig die Mitarbeitenden sind, und nicht alles für sie tun würde. Das spüren die Menschen, es geht nicht immer nur um den Lohn, sondern um die Gesamtbedingungen. Nicht alle Firmen können sich den vollen Teuerungsausgleich leisten. Sie haben in der Regel auch auf der Ausgabenseite eine Teuerung mitzutragen.» Hess stellt sich schützend vor die KMUs und weist darauf hin, wie schwierig es für eine kleinere Firma ist, mit den Löhnen der öffentlichen Verwaltungen mitzugehen, die eben nicht mit Steuergeldern Löhne bezahlen kann, sondern den Umsatz über die Auftragsbücher einholen muss. Aber die Auftragsbücher sind doch bei vielen Firmen voll und die Auslastung ausgereizt? Wieder kehrt die Bümplizer Dreifaltigkeit ein, alle drei nicken. «Wenn eine Firma nicht rentiert, muss man sie nicht zwanghaft am Leben erhalten. Selbstständige können auch wieder zu Arbeitnehmenden werden», ergänzt Schindler. Und wieder nicken alle drei, aber aus unterschiedlichen Gründen. Schindler sieht nicht jede Firma als überlebensfähig für die heutige Zeit an, wer aber Gewinne erzielt soll anständige Löhne bezahlen. Hess hingegen drosselt die Lohnerwartungen, um die KMUs vor einer Zerreissprobe zu schützen und Vögeli will eine Teuerungsspirale verhindern.

Wie löst man das Wohnraumproblem?

Wird alles teurer und damit auch die Mieten? «Das kann ich schnell beantworten: Ja, aber vor allem weil die Zuwanderung ungebremst voranschreitet und der Wohnraum knapp wird.» Fertig ist das gegenseitige Zunicken. Hier vertritt Schindler eine ganz andere Sichtweise: «Ich sehe das genau umgekehrt. Ohne Einwanderung wäre der Fachkräftemangel noch ausgeprägter. Wir profitieren davon. Bei den Geflohenen hingegen hat die Schweiz auch eine Verantwortung zu tragen und ihre humanitäre Tradition wahrzunehmen.» Für Vögeli geht es um eine ausgewogene Asylpolitik: «Integration ist keine Einbahnstrasse. Nur wer integriert werden kann, wird in der Lage sein, sich im Arbeitsmarkt einzubringen.» Doch genau das sei bei vielen nicht möglich, ermahnt Hess umgehend. Doch damit zurück zur eigentlichen Frage nach genügend Wohnraum. «Niemand hat so viel Rendite gemacht in den vergangenen Jahren wie die Immobilienbranche. Wo bleibt der bezahlbare Wohnraum in genügendem Masse? Die Lage ist unerträglich und der Staat müsste hier viel mehr mithelfen», stellt Schindler fest. Es vergeht kein Wimpernschlag, ehe Hess kontert: «Ich kann es auflösen, der Boden ist begrenzt und bald ausgereizt, hier liegt das Problem und wieder landen wir bei den viel zu hohen Zuwanderungszahlen, die den Wohnraum verknappen und erst noch die Sozialabgaben in die Höhe treiben.» Nun ist es Vögeli, der eine andere Perspektive reinbringt: «Es ist günstiger zu renovieren oder zu sanieren. Das bezahlen nicht jene, die es nötig haben, sondern diejenigen, die es sich leisten können. Es gibt sowieso eine Umverteilung, das kann man gut oder schlecht finden.» Aber für ihn ist es wichtig, dass man Nebenkosten deutlich senken kann, wenn im gros-sen Stil saniert wird. Und wieder landet der Diskurs in der Frage, wie viel Staat die Schweiz braucht. Wo Schindler einen klaren Auftrag an die Politik erkennt, um dafür zu sorgen, dass Menschen vor den Auswüchsen im Wohnungsmarkt besser geschützt sind, will Hess eher über weniger Zuwanderung die Knappheit entschärfen und Vögeli mit guten energetisch sanierten Gebäuden und verdichteten Bauten oder Umnutzungen für tiefere Nebenkosten und ein grösseres Angebot sorgen.

Nun geht es hoch zu und her im Sternen zu Bümpliz. Die für Bümpliz wichtigen Themen, sie sind nicht einzeln zu extrahieren, sondern stehen in gegenseitigen Abhängigkeiten mit weiteren Themen und genau das versuchen Meret Schindler (SP), Tobias Vögeli (GLP) und Erich Hess (SVP) zu entflechten. Mit unterschiedlichen Resultaten, das steht ausser Frage. Was ist denn gut an der SP, Tobias Vögeli? «Meret Schindler natürlich», lacht er und ergänzt: «Dass sich die Sozialdemokraten um die Bedürfnisse der Menschen kümmern.» Und was schätzt die SP an der SVP? «Dass man sich auf sie verlassen kann. Die SVP steht zu ihren Aussagen und Meinungen, sie wechselt nicht plötzlich die Position», sagt Schindler. Nun ist die Reihe am Nationalrat, den anderen beiden Parteien etwas Positives abzugewinnen: «Das ist einfach. Die Schweiz braucht eine gut funktionierende Demokratie und für diese braucht es die SP unbedingt. Es braucht auch die GLP mit ihrem frischen Wind. So bilden wir gemeinsam die Bevölkerung ab.» Deshalb lässt sich nach der Diskussion eines klar sagen: Diese drei Kandidierenden aus dem Stadtteil VI würden nie sagen «teuer na und», sie alle kämpfen gegen die Teuerung – wenn auch mit deutlich anderen Herangehensweisen.

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