Zufällig getroffen

«Ganz Bümpliz ist eine einzige Theaterbühne»

Thomas Bornhauser
Annemarie Morgenegg wünscht sich eine menschlichere Welt.

Foto: BO

Einfach erklärt

Annemarie Morgenegg wohnt seit 32 Jahren in Bümpliz. Sie ist Theaterfrau und hat bei Aufführungen auf dem Gurten mitgespielt. Und sie bezeichnet Bümpliz als eine einzige grosse Theaterbühne.

Was Sie wissen müssen: Ich hatte für dieses «Zufällig getroffen» zwölf Leute gefragt, ob sie in Bern-West wohnen. Fehlanzeigen. Ich hatte bereits feuchte Hände und Schweissperlen auf der Stirn, als mir diese Frau über den Weg lief. Viele unter Ihnen werden sie kennen. Annemarie Morgenegg, Theaterfrau und Buchautorin.

Annemarie Morgenegg, wohin des Weges?

(Ziemlich perplex) Schauen Sie mich an! (Schmunzelt) Sicher an keinen Staatsempfang… Ich gehe gleich Pilze suchen. Zusammen mit meinem Hund, einem Cairn Terrier. Leider eignet er sich überhaupt nicht, um Trüffel zu entdecken. Ganz abgesehen davon: Ich habe erst kürzlich mit dem «Pilzle» begonnen, bin noch alles andere als eine Expertin, also konzentriere ich mich vor allem auf Röhrlinge, gehe auf Konto sicher, die allermeisten Röhrlinge sind essbar.

Pilze sammeln im Spätherbst, ist das erlaubt?

Keine Angst, ja, das ist erlaubt, im Kanton Bern sogar das ganze Jahr über. Einschränkung: maximal zwei Kilogramm pro Tag und Person.

Nun kennen wir Sie aus einer völlig anderen Branche. Seit wann wohnen Sie in Bümpliz?

Seit 32 Jahren. Aufgewachsen bin ich in Ferenberg, habe nach der obligatorischen Schulzeit die Wirtschaftsmittelschule absolviert und dann einige Jahre im Tourismusbereich gearbeitet. In Hotels, bei Railtour Suisse, Ferienverein und anderen. Anschlies-send habe ich während zehn Jahren das eine oder andere «Jöbli» gemacht, unter anderem bei Radio Extrabern die sogenannten versteckten Telefone, bei denen ich bekannte und weniger bekannte Zeitgenossen beglückt habe, so zum Beispiel Nella Martinetti oder Beat Breu.

Da kann ich mithalten, das habe ich für die Konkurrenz gemacht, für Radio Förderband. Ich besitze heute noch zwei Musikkassetten mit allen Anrufen eines gewissen Beat Neuenschwanders.

Sie Glücklicher! Meine Aufnahmen sind nämlich unauffindbar, aber wir haben auch keine MC produziert. Diese Zeit hat mir als Sprungbrett geholfen. Ich habe dann Schauspielunterricht bei Astrid Lanz in Bern genommen und mich in verschiedenen Workshops ausgebildet. Und so hat es sich ergeben, dass ich auf verschiedenen Bühnen spielen konnte und auch von Livia Anne Richard eine Rolle für «Ein Engel kommt nach Babylon» bekam, frei nach Friedrich Dürrenmatt.

Für mich nach wie vor die beste Theaterproduktion auf dem Gurten. Ist Ihnen davon etwas in Erinnerung geblieben?

(Schallendes Lachen) Und ob! Da gab es nämlich zwei Esel, die quasi zu den Statisten zählten. Während einer Aufführung drehte sich der eine Esel vom Publikum weg und furzte, was das Zeug hielt. Ich habe das Lachen der 500 Anwesenden heute noch im Ohr. Und das Beste: Offenbar hat es dem Grautier derart gut gefallen, dass er es am nächsten Tag gleich wiederholt hat! Ich habe mich sowas von zusammennehmen müssen, um meinen sogleich folgenden Text einigermassen rüberbringen zu können.

Haben Sie bei allen Produktionen auf dem Gurten gespielt?

Nein, aber beim «Scharlatan», bei «Paradies» und auch beim bis heute besten «Dällebach», der jemals aufgeführt worden ist. Viele Leute konnten 2006 keine Billette mehr kaufen, so dass wir die Aufführung im folgenden Jahr wiederholen mussten – bis heute die Ausnahme der Regel, weil das Theater Gurten nur alle zwei Jahre stattfindet. Für mich war übrigens «Von Mäusen und Menschen» der Höhepunkt aller Aufführungen, von John Steinbeck mit Markus Maria Enggist. Er spielte auch den Dällebach Kari und Fredy Stettler als Lenny in den Hauptrollen. Eine wirklich traurige Geschichte zweier Freunde, die man nur erträgt, wenn man selbst nicht in einem Wellental der Gefühle ist. Schauspiel vom Besten!

Mit dem Theater Gurten blieben Sie aber verbunden?

Ja, ich habe für das Theater Gurten als Projektassistenz sowie in der Administration gearbeitet. 2010 war ich Gründungsmitglied des Theaters Matte, wo ich für zehn Jahre auf und hinter der Bühne engagiert war.

Zurück nach Bümpliz. Sie schwärmen von diesem Stadtteil. Weil?

Weil Bümpliz eine einzige Theaterbühne ist. (Begeistert) Die Gebäude sind wie eine Kulisse zur Bühne, wo sich davor alles abspielt. Schauen Sie sich bloss um! Wo gibt es diese einzigartige Durchmischung der Kulturen, wo sonst diese Vielfalt? Freiwillig würde ich meinen Wohnort nicht verlassen!

Sie sind nicht bloss Theaterfrau, sondern auch Buchautorin. Sie haben mit «Für dich öffne ich meine Schublade» ein bemerkenswertes Buch mit historisch eindrücklichen Biografien von Menschen aus dem Balkan geschrieben, die jetzt in der Schweiz wohnen. Das Buch wurde bereits an anderer Stelle vorgestellt, deshalb nun ein abrupter Themenwechsel. Was haben Sie 2025 für Pläne, privat und beruflich?

Privat werde ich nach wie vor viel mit unserem alten VW-Bus unterwegs sein, als nächstes Ziel Richtung Polen. Ein Wunsch von mir ist es, nochmals den Westbalkan zu bereisen, aber dieses Mal mit dem Zug, was ein besonderes Erlebnis sein soll. Beruflich plane ich, gemeinsam mit meinem Mann Markus – pssst, noch nicht weitersagen – ein Theater in Bümpliz für den Sommer 2027.

Und was wünschen Sie sich für das kommende Jahr?

Das, was sich vermutlich alle Menschen wünschen: eine bessere, eine menschlichere Welt. Und eine offene, tolerante Schweiz.

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