Gedacht, gesagt, getan

Das Pflegepersonal verdient unseren Respekt

Thomas Bornhauser
Ein neuer Tag steht an.

Foto: zvg

Einfach erklärt
Der Autor hat sich als Pflegevolontär im Alters- und Pflegeheim Domicil Schwabgut versucht. Imponiert hat ihm der Umgang untereinander.
Zwar bin ich in der Familie von medizinischem Personal umringt, aber noch so viele Schilderungen können keine Praxis ersetzen, also habe ich mich im Alters- und Pflegeheim Domicil Schwabgut als Pflegevolontär versucht. Mit Betonung auf «versucht». Und bin dabei «auf die Welt gekommen».

06.45 Uhr. Ich melde mich bei Olga Volgyesi an, diplomierte Pflegefachfrau. Sie stammt ursprünglich aus Ungarn, lebt seit 2009 in der Schweiz, die letzten 10 Jahre arbeitet sie im Domicil Schwabgut als Teamleiterin auf der ersten und zweiten Etage. Ich frage sie, weshalb sie Volgyesi heisst, nicht Völgyesi, wie es sich für ungarische Namen eigentlich gehören würde. Staunen erlaubt: Bei ihrer Einbürgerung ging das ö verloren, eine Rückkehr vom o zum ö wäre mit zu viel administrativem Aufwand verbunden. Henusode.

 

Wie bei einem Staffelrennen

Um 7 Uhr (wenn, frei nach einem bekannten Lied, die Welt noch in Ordnung ist) trifft sich die Tagesschicht zum Rapport mit der Nachtwache. Gab es über Nacht besondere Vorkommnisse? Das ist heute nicht der Fall, so dass Olga zusammen mit Yasemin, Nadia und Deeqo ihre eigene Tagesplanung besprechen und die Aufgaben verteilen kann. Dieser Rapport wird sich um 10 Uhr wiederholen, damit sich die vier Frauen über die Bewohnerinnen und Bewohner austauschen können.
Apropos: Es ist auffallend, wie viele Italienerinnen und Italiener im Domicil Schwabgut betreut werden (eine Etage wird sogar exklusiv durch Italianità belegt), als ehemalige Angehörige von Gastarbeiterfamilien. Olga spricht die Sprache perfekt, auf ihre erste Anstellung in Bellinzona zurückzuführen.

 

Die Teamleiterin nimmt mich ins Schlepptau, beginnt – wie ihre Kolleginnen – ihren Morgenbesuch bei «ihren» zugeteilten Zimmern. In den meisten Räumen ist es noch dunkel, die Bewohnenden jedoch bereits wach. Olga erkundigt sich nach ihrem Befinden, beginnt mit der Morgentoilette, bei den einen ist das eine kürzere Tätigkeit, bei anderen eine längere, wie bei Frau Trachsel*, seit Jahren bettlägerig. Übrigens: Morgentoilette heisst im Fall von Herrn Gerber* durchaus auch… rasieren, mit Dachshaarpinsel und Rasierklinge.

Der Volontär als Tollpatsch

Für das Morgenessen gibt es zwei Varianten: entweder auf der Etage in der Wohnküche oder aber im Zimmer selber, von den vier Frauen serviert. In der Wohnküche versuche ich mich nützlich zu machen, räume später das Geschirr ab, wobei mir subito das Besteck klangvoll zu Boden fällt. Was sofort erlebbar wird: Olga Volgyesi kennt ihre Bewohnenden, sie weiss genau, worauf es ankommt, wo sie ein Sprüchli fallenlassen darf. Und wo nicht. Die Herzlichkeit, wie sie die alten Menschen betreut – das gilt auch für ihre drei Kolleginnen, denen wir in den Gängen im Laufe des Morgens mehrmals begegnen – nötigt Respekt ab. Es ist offensichtlich: Im Domicil Schwabgut ist man keine Nummer. Immer wieder ist von Bewohnenden zu hören, wie sehr man die Pflegefachfrauen schätzt. Und was ist mit älteren Menschen mit kognitiven Einschränkungen, wenn sie zum Teil aggressiv werden? «Das ist einzig auf ihre Krankheit zurückzuführen, da können sie nichts dafür», ordnet Olga Volgyesi professionell ein.

Administration vor Pflege?

Unübersehbar ist auch in den paar Stunden, in den ich als Gast mitlaufen darf (ich staune übrigens, wie viele Leute mich aus den Reportagen in der BümplizWochen kennen), wie organisiert das Team arbeitet, wie effizient. Da gibt es keine «leeren» Minuten, in denen die Frauen nicht wissen, was zu tun ist. Olga Volgyesi: «Ja, wir sind ein eingespieltes Team, anders geht es gar nicht.» Sie ist omnipräsent, muss immer wieder Fragen beantworten, auch telefonisch. Was uns in Erinnerung ruft, dass auch in den Pflegeberufen Fachkräfte fehlen. Kommt hinzu, dass Zeit für die wirkliche Pflege immer mehr durch Administratives eingeschränkt wird. Im Sinne der Erfinder?

Mein Fazit: Es reicht nicht, dem Pflegepersonal zu applaudieren, wie während der Pandemie. Die Politik ist gefordert, die Pflegeinitiative so schnell als möglich umzusetzen, vor allem im behäbigen Kanton Bern, und damit sind durchaus auch die Löhne gemeint, für diese anspruchs- und verantwortungsvollen Arbeiten. Ganz zum Schluss das Wichtigste: Junge Menschen, die vielleicht kein phänomenales Schulabschlusszeugnis mit auf den Weg bekommen, verdienen trotzdem die Chance, in diesem Beruf, der Pflege, zu arbeiten, denn Beruf kommt von… Berufung.

*Name geändert

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