«Für dich öffne ich meine Schulblade»

21 Schicksale und ihre Geschichten

Marc de Roche
Annemarie Morgenegg zusammen mit Nikola Burić, ursprünglich aus Bosnien-Herzegowina, und dem serbischen Musiker Dejan Škundrić auf der Heubühne.

Foto: Mdr

Einfach erklärt
Annemarie Morgenegg hat mit Menschen gesprochen, die aus Ex-Jugoslawien kommen und jetzt bei uns leben. Sie hat diese Gespräche aufgeschrieben und in einem Buch zusammengefasst.
Sie setzte sich für vier Monate in einen alten VW-Bus und fuhr ganz allein einfach los, ohne Ziel, die Berner Theaterfrau Annemarie Morgenegg, bestens bekannt in Bümpliz und Bethlehem. Jetzt hat sie ein Buch geschrieben.

Nein, kein bebildertes Reisetagebuch. Sie traf sich mit Menschen, die aus dem ehemaligen Jugoslawien stammen, und hat in ganz persönlichen Gesprächen aufgenommen, wie die Leute, oft geprägt von Gewalt und traumatisiert von langen Kriegen, den Weg in die Schweiz gefunden haben. Was haben sie hier erlebt, und was fällt ihnen besonders auf? 

Sich kennenlernen im persönlichen Gespräch

Annemarie Morgenegg gibt die Interviews authentisch wieder, ohne Wertung oder gar mit belehrendem Kommentar. Sie nimmt ihre Gesprächspartnerinnen und -partner ernst. Das spürt die gespannt lauschende Zuhörerschaft bei der Lesung auf der Heubühne im Bienzgut. Sie gibt uns einen respektvollen Einblick in die Denkweise dieser Immigranten. 

Antworten auf viele Fragen geben nicht nur die von der Autorin gelesenen Geschichten, sondern auch die lebhaften Gespräche danach. Die Porträtierten und andere Jugos erzählen gerne, was sie bewegt. Jugos? «Ja klar, Ex-Jugos», sagt Nikola Burić aus Bosnien-Herzegowina. Jugo heisst übersetzt schlicht Süden. Damit sind Serben, Kroaten, Kosovoalbaner, Slowenen, Bosnier, Mazedonier oder Montenegriner gemeint. Ist West-Balkaner besser? «Nein», werde ich von einem Serben belehrt. «Der Balkan ist ein Gebirge, das vorwiegend in Rumänien liegt. Wir hoffen, dass sich die Bezeichnung Südost-Europäer einbürgert.» Stolz erwähnt eine Kroatin, dass ihr Land jetzt in der EU sei, die Schweiz noch nicht. Im persönlichen Umgang bestärkt sich der Eindruck von Annemarie Morgenegg, die in ihrem Buch schreibt: «Die Gastfreundschaft, Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft der Menschen sind einzigartig.» Sie begegnen mir an diesem Abend mit überraschenden Ansichten über unsere Alltäglichkeiten.

Kriege haben die Einwanderer geprägt

Mein erster Eindruck bei den kurzen Gesprächen mit den anwesenden Migranten: Die Kriegszeit ist immer noch präsent in ihren Köpfen. Sogar die hier geborenen Secondos berichten von traumatischen Erlebnissen in ihrer Verwandtschaft, gehen dann aber gleich über zu positiven Erfahrungen im Schweizer Alltag. «Das Verstehen der deutschen Sprache hat mir überall geholfen, bei der Stellen- und Wohnungssuche, beim Einkauf und in der Freizeit.» Sie machen mit im Quartier und spielen im SC Bümpliz. Sie integrieren sich rasch und unkompliziert. Aber unter sich beobachten sie die Ereignisse im Kosovo, ergreifen Partei. Ob es da wohl noch einmal eine Generation braucht, bis aus der Annäherung ein friedliches Miteinander wird? 

Musikalisch begleitete Lesung

Der Serbe Dejan Škundrić, Meister über 226 Akkordeon-Knöpfe, wenn ich richtig gezählt habe, spielte Weisen aus dem Balkan, fröhliche und melancholische. Das waren nicht einfach dazwischen geschobene Intermezzi. Nein, sie bildeten Brücken zwischen den einzelnen Lesungen aus dem neuen Buch. Als er «s’isch äben e Mönsch uf Ärde» anstimmte, wurde es ehrfürchtig still im Saal. 

 

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